Belgien verdampft

Das Land hat nun den Weltrekord des Irak überschritten und ist schon 250 Tage ohne Regierung

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Einst hatte der Wahlsieger in Belgien angekündigt, man wolle langfristig Belgien "verdampfen lassen". Damit hatte die "Nieuw-Vlaamse Alliantie" (N-VA) deutlich gemacht, dass die Partei Bart de Wevers langfristig die Trennung vom französischsprachigen Wallonien anstrebt, wofür sie auch gewählt wurde. Viel musste die N-VA nicht tun, um den Zerfallsprozess zu beschleunigen. Denn was beschreibt die fatale Lage im Land deutlicher, als die Tatsache, dass Belgien auch seit dem 13. Juni 2010 nur über eine geschäftsführende Regierung verfügt? Sogar dem Irak, dem bisherigen Weltmeister in Sachen "Land ohne Regierung" wurde nun der zweifelhafte Titel abgenommen.

Als Belgien gestern die Weltmeisterschaft übernahm, reihte die französischsprachige Tageszeitung Le Soir den Vorgang in andere Meistertitel ein. Ein Belgier hat über 83 Stunden insgesamt 1.500 Kg Fritten gebacken und dabei nur fünf Minuten Pause gemacht. In der Liste steht auch, dass 2.875 Personen den Hula-Hup-Reifen für zwei um die Hüften kreisen ließen und damit den "bisherigen Rekord um 500 Personen" übertroffen haben. "Willkommen in Absurdistan" titelte dagegen die flämische Zeitung De Standaard.

Bisher sind alle Versuche gescheitert, eine Regierung zu bilden. So trat im Januar der vom König bestellte Vermittler zurück. Dass der Vorschlag von Johan Vande Lanotte auf Ablehnung stoßen würde, war schnell klar. Dessen Kompromiss ging in zentralen Streitfragen sogar dem klaren Wahlverlierer nicht weit genug. So hatten auch die flämischen Christdemokraten unter Yves Leterme, der seit fast einem Jahr noch geschäftsführend der Regierung vorsteht, starke Vorbehalte.

König Albert II. hat inzwischen einen neuen Vermittler eingesetzt. Nun ist der Chef der französischsprachigen Liberalen, Didier Reynders, mit der immer schwieriger werdenden Aufgabe betraut. Ein Knackpunkt ist der Sprachenstreit in dem letzten zweisprachigen Wahlkreis Brüssel-Halle-Vilvoorde. Obwohl das Verfassungsgericht in einem Urteil gefordert hat, den Wahlkreis aufzuteilen, wie es die Flamen seit Jahrzehnten fordern, stellen sich Wallonen weiter dagegen. Ein Problem ist auch die Finanzierung der Hauptstadt Brüssel. Weitere Probleme sind, dass die Frankophonen in Flandern viele Minderheitenrechte nicht aufgeben wollen und viele Flamen nicht mehr finanziell für Wallonien aufkommen wollen. Eine klare Schuldzuschreibung verbietet sich, denn alle haben an dem Debakel ihren Anteil.

Da sich der Konflikt immer weiter verhärtet und sich damit die Staatskrise zuspitzt, könnte die reale Aufteilung vielleicht schneller kommen, als sogar der N-VA lieb ist, die auf eine langsame und geordnete Trennung setzt. De Wever, der erst mittelfristig "eine flämische Republik" aufbauen will, wollte deshalb einst sogar dem wallonischen Sozialisten Elio Di Rupo den Vortritt als Regierungschef lassen, wenn dessen PS dafür den Flamen in der Frage einer stärkeren Autonomie Flanderns entgegenkommen wäre. Somit hätte Belgien dann schon im vergangenen Sommer eine Regierung haben können.

Eine Frage der Zeit ist es auch nur noch, bis Spekulanten verstärkt den Blick auf Belgien richten. Schließlich gehört das Land mit Griechenland, Italien und Irland zu den Ländern, in denen die Staatsverschuldung die Marke von 100% der Wirtschaftsleistung überschritten hat. Es war der jetzige Vermittler und (noch) Finanzminister Reynders, der kürzlich vor einer baldigen Attacke warnte, wenn "Anfang 2011 keine Entscheidungen über den Haushalt getroffen werden - entweder von einer neuen oder der jetzigen Regierung". Da sich die Lage in Portugal weiter zuspitzt, könnte aus Belgien demnächst zum Ziel werden.

Dass Portugal demnächst unter den EU-Rettungsschirm muss, ist eigentlich klar. Erst am Mittwoch musste das Land wieder neue Rekordzinsen für seine Staatsanleihen bieten, um diese noch losschlagen zu können. Fast 4% waren es für Anleihen mit einer Laufzeit von 12 Monaten. Noch am 2. Februar waren es 0,3 Prozentpunkte weniger. Zum Absturz trägt auch bei, dass inzwischen die Wirtschaft in die Rezession zurückgespart wird, wie zu erwarten war. Nach Angaben von Eurostat schrumpfte die Wirtschaft im 4. Quartal 2010 erstmals wieder. Nach dem Absturz von Portugal rücken dann mit Spanien vor allem Belgien und Italien noch deutlicher ins Blickfeld. Für Belgien könnten dann die ohnehin schon steigenden Refinanzierungskosten sehr schnell zum Stolperstein werden.