Brasiliens Justiz kapituliert vor der korrupten Oligarchie
De-facto-Präsident Temer trotz Belegen in Schmiergeldskandal freigesprochen. Der Druck auf die Staatsführung bleibt aber weiterhin hoch
In Brasilien dreht sich das Drama um die Krise der politischen Führung unter De-facto-Präsident Michel Temer weiter. Zwar konnte der rechtsgerichtete Politiker in der vergangenen Woche seinen Sturz durch das Oberste Wahlgericht abwenden. Die Richter entschieden mit einer knappen Mehrheit von vier zu drei Stimmen, dass die Wahl 2014 nicht annulliert werden muss. Hätten sie eine illegale Wahlkampffinanzierung festgestellt, von der die Anklage ausging, wäre Temer das Mandat aberkannt worden. Der 76-Jährige steht wegen eines unaufgeklärten Bestechungsskandals aber weiterhin unter heftigem Druck.
Temer war im vergangenen Jahr an die Macht gekommen, nachdem er mit an der Spitze eines parlamentarischen Putsches stand (Brasiliens korrupte Bonzen setzen zum Putsch an, in dessen Verlauf die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff von der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) gestürzt wurde. Die maßgeblichen Gründe für diese brasilianische Spielart eines Staatsstreiches – es ging um Haushaltstricks, um die Liquidität der Regierung zu gewährleisten – waren nach dem Sturz Rousseffs von den Putschisten selbst umgehend legitimiert worden.
Die Schlinge um Temer zieht sich nun dennoch zu – auch ungeachtet des jüngsten Urteils des Wahlgerichtshofes. Anfang des Monats war in Brasília einer seiner Vertrauten, Rodrigo Rocha Loures, von der Bundespolizei festgenommen worden. Er war dabei gefilmt worden, wie er einen Koffer mit 500.000 Reais (rund 137.000 Euro) vom Chef des weltgrößten Fleischproduzenten JBS, Joesley Batista, entgegennahm.
Der schon seit vergangenem Jahr wegen Korruptionsdelikten inhaftierte Ex-Präsident des Abgeordnetenhauses Eduardo Cunha hat indes versichert, dass er von Temer kein Schweigegeld erhalten habe, um eine weitere Eskalation der Korruptionsskandale zu verhindern.
Die aktuellen Ermittlungen gegen Temer sind eingeleitet worden, nachdem der Nahrungsmittelunternehmer Joesley Batista, einer der Besitzer des weltgrößten Fleischproduzenten JBS, den Behörden die heimlich erstellte Aufnahme eines Gesprächs zugespielt hatte, in dem er den De-facto-Präsidenten von den Schmiergeldzahlungen in Kenntnis setzt. In der Aufnahme, die inzwischen von brasilianischen Medien veröffentlicht wurde, informierte Batista Temer darüber, dass er dessen Politfreund Cunha über Monate hinweg bezahlt habe, "um die Dinge unter Kontrolle zu halten". Temer antwortet: "Und das muss auch so bleiben, okay?"
Die Staatsanwaltschaft hatte diese Reaktion als Signal des Einverständnisses und der Rückendeckung für Batista interpretiert – wofür auch spricht, dass der De-facto-Präsident die Strafverfolgungsbehörden nicht informierte. Die knappe Entscheidung des Wahlgerichtes ist auch vor diesem Hintergrund kein Freispruch für Temer, sondern eher eine pragmatische Entscheidung.
Der Brasilien-Experte Andreas Behn konstatierte beim Lateinamerika-Portal Poonal, alle Richter seien sich darin einig gewesen, dass es im Wahlkampf zu schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten kam. "Zu einer Verurteilung reichte dies jedoch nicht, da vier Richter aus formalen Gründen gegen die Berücksichtigung von erst später gesammelten Korruptionsbeweisen votierten", so Behn. Der Gerichtsvorsitzende Gilmar Mendes habe seinen Freispruch für Temer damit begründet, dass andernfalls auch viele vorhergehende Wahlen annulliert werden müssten. "Ein höchstrichterliches Eingeständnis", schreibt Behn, "dass die Politik korrupt ist, aber nicht plötzlich abgestraft werden kann."