"Brüssel muss auf seine Glaubwürdigkeit achten"
Der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem kritisiert die Extrawürste für große Euroländer, die aus Rücksicht auf Wahlen erfolgen
Der eigenartige Umgang mit den verschiedenen Ländern in Europa von Seiten der EU-Kommission ist bekannt. Gerade zeigte sich die Ungleichbehandlung am Beispiel Polen, wo das Verfahren wegen Rechtsstaatsdefiziten verschärft wurde, während an Spanien zum Beispiel, obwohl es sogar immer wieder wegen Folter vom Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg verurteilt wird, keine Defizite bemängelt werden.
Doch nun hat auch der Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Ungleichbehandlung und die Glaubwürdigkeit kritisiert, die Brüssel immer stärker auch in anderen Fragen abhandenkommt. Da er nicht für Menschenrechte, sondern für die Gemeinschaftswährung zuständig ist, bezieht er seine Kritik auf die Gemeinschaftswährung und den Währungsraum. Und auch dabei hat er - neben Frankreich - Spanien im Blick.
"Es wäre weise, wenn die Kommission ein bisschen mehr auf ihre Glaubwürdigkeit achten würde", erklärte Dijsselbloem gegenüber der Süddeutschen Zeitung und kritisiert damit den EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker heftig für seine laxe Auslegung des europäischen Stabilitätspakts.
Denn, wie Telepolis berichtete, leistet der konservative Juncker derzeit Wahlhilfe für seine ultrakonservativen Freunde in Spanien. Vor den Neuwahlen am 26. Juni wurde die Entscheidung, ob nun Sanktionen gegen Spanien verhängt werden, just auf den Termin nach den Wahlen verschoben. Denn die Volkspartei (PP) von Mariano Rajoy wurde schon im Dezember abgestraft und stürzte auf knapp 29% ab.
Müsste Rajoy nun im Wahlkampf eine Strafzahlung von zwei Milliarden Euro und den Wegfall von Geldern aus EU‑Strukturfonds begründen, wären die Chancen für seine Partei, die bis zur Halskrause in Korruptionsskandalen steckt, noch geringer.
Obwohl Spanien bisher jedes Jahr gegen die Defizitvorgaben verstoßen hat und auch die Stabilitätsmarke von 3% nach Ansicht der Kommission nicht einmal 2017 erfüllen wird, wurden bisher keine Sanktionen verhängt. Dijsselbloem kritisiert, dass die Kommission von Juncker nachsichtig gegenüber großen Ländern sei.
"Das nächste Mal wird die Kommission auch ein Auge bei anderen zudrücken. Und am Ende drücken wir überall ein Auge zu und haben eine blinde Währungsunion."
Die Kommission müsse sich an die Regeln zu halten und sie schützen und zwar unabhängig von der Größe eines Mitgliedslandes oder der Tatsache, wo gerade Wahlen stattfinden.
Das bezog er auch auf Frankreich, denn dort hatte sich Juncker besonders weit aus dem Fenster gelehnt. Der Kommissionspräsident hatte erklärt, er tue seit Jahren nichts anderes, als der Regierung in Paris Ausnahmen von den Regeln des Paktes zu gewähren. Auf die Frage, warum er die gewähre, antwortete Juncker: "Weil es Frankreich ist."
Er kenne das Land gut und man müsse Rücksicht auf seine spezielle Mentalität und politische Reflexe nehmen. "Wenn der Kommissionspräsident sagt, die Dinge gelten für Frankreich anders, dann beschädigt das wirklich die Glaubwürdigkeit der Kommission als Hüterin des Pakts", sagte Dijsselbloem.
Dass Extrawürste für große Länder gebraten werden, während man gegenüber kleinen Ländern die Peitsche schwingt, diesen Eindruck hat man auch in Portugal. Denn das Land soll schon bestraft werden, obwohl es den Stabilitätspakt schon im vergangenen Jahr fast eingehalten hat, trotz Bankenrettung ein deutlich geringeres Defizit als Spanien hatte und das Stabilitätsziel 2016 wieder einhalten dürfte. Und anders als Spanien soll es auch keinen neuen Aufschub bis 2017 erhalten.
Dass für Spanien erneut eine Extrawurst gebraten werden soll, dafür sieht wohl auch der Europäische Rat keine legale Grundlage. Das schreibt die spanische Tageszeitung El País heute mit Bezug auf eine juristische Bewertung des Rats, die der Zeitung vorliegt. Einen weiteren Aufschub könne es erst geben, wenn über die Strafzahlung definitiv entschieden sei.
Die Zeitung hatte zuvor berichtet, dass die EU-Kommission Spanien sogar "zwei Jahre" Aufschub angeboten habe, um das Haushaltsdefizit auf 3% zu drücken.