Buhs und Gelächter für Wim Wenders

Tod in Palermo: Seniorenkino und Gymnasiastenpoesie aus Deutschland bei den Filmfestspielen von Cannes

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So etwas erlebt man in Cannes nicht oft: Höhnisches Gelächter kommentierte sarkastisch einzelne Dialoge, und am Ende der Pressevorführung von Wim Wenders' neuem Film "Palermo Shooting", der seine offizielle Premiere an diesem Samstagabend im Wettbewerb von Cannes erlebt, rührte sich kaum eine Hand zum Applaus, stattdessen gab es ein Buhkonzert.

Wenn der Deutsche gefühlig wird, vergreift er sich an Italien. Und auch die vielleicht besten beiden deutschen Schriftsteller, Thomas Mann und Wolfgang Koeppen, konnten es nicht lassen, existentielle Stoffe im Land wo die Zitronen blühen anzusiedeln, genauer gesagt: in den zwei Weltkulturstädten Rom und Venedig. Im Fall von Palermo liegen die Dinge ein wenig anders, aber auch "Palermo Shooting" könnte gut und gerne "Tod in Palermo" heißen. Auch dies ist eine morbide Meditation über den Tod, auch hier steht ein deutscher Künstler im Zentrum, der von Lebensüberdruss und Todesahnung gequält wird, nach Italien reist, und dort zuerst eine Liebe findet und dann dem Tod begegnet. Das allerdings ist aber auch wirklich alles, worin man Wenders' Film mit den beiden meisterlichen Vorläufern vergleichen kann.

"Palermo Shooting" ist in jeder Hinsicht Seniorenkino: Alte Autos, alte Kameras, alte Häuser, alte Männer, und auch Wenders' Bilder sehen alle mindestens 30 Jahre alt aus. Ein Quasselfilm, dessen erbärmliche Dialogqualität den Zuschauer von Anfang an quält. Ein Beispiel: "Träume - sind das nur elektrische Gewitter im Gehirn? Oder steckt mehr dahinter?" Oder: "Man muss alles todernst nehmen." Oder, in Campinos schlechtem Englisch: "Cool! A city on a hill." Mit einem Wort: Gymnasiastenpoesie. Oder: "Die Zeit schert sich einen Dreck um uns" - oh bitte lieber Gott, lass Wim Wenders wieder mit Handke schreiben, dann ist das esoterische Geschwurbel wenigstens besser formuliert.

Im Zentrum steht ein Düsseldorfer Fotograf mit dem typisch Düsseldorfer Namen Finn Gilbert, ein Typ, der von allen Frauen verehrt und begehrt wird, ein Klugscheißer, der sich nichts sagen lässt und der nicht zuhören kann. "Diese Bilder sind nur Oberfläche" lehrt er seine Studenten an der Akademie, er ist also, das macht der Film klar, ein böser Böser, denn er manipuliert die Wahrheit.

Nicht Tod in Venedig, sondern Palermo Shooting heißt Wim Wenders neuer Film
Nicht Tod in Venedig, sondern Palermo Shooting heißt Wim Wenders neuer Film

Neben dem Computer liegt des Öfteren mal ein Totenschädel, das ist dann Wenders Form von Symbolismus. Sein Film zeigt die ganze Welt als von Sinn erfüllt, ein Reich der Zeichen, die sämtlich aufeinander bezogen sind und ein geschlossenes Ganzes ergeben, einen wohlgeordneten Text weben. Diese Wohlgeordnetheit ist der wahre Schrecken des Films. Vor allem macht Wenders ein Geheimnis aus dem Offensichtlichen, und während auch der letzte Zuschauer kapiert hat, dass Hopper der Tod ist, ist die Hauptfigur am Ende ein ahnungsloser Idiot.

Am Ende trifft Finn den Tod, der sich als ein großer Aufnahmeleiter entpuppt. Jetzt hat nämlich auch die Stunde des Mediendiskurses geschlagen, in der der Tod zum Moralprediger wird: Fotos seien Death at work, das Digitale "is open to manipulation ... you lost the essence ... you are afraid by the real existing world ... you try to recreate. That is the fear of death." Aha! An sich wäre ja dieser kulturkonservative Eintopf der Erörterung wert, wenn er nicht ästhetisch so erbärmlich wäre. Und wenn Wenders nicht selbst fortwährend mit den Bildern tricksen und sie bearbeiten würde, wo er inhaltlich doch so auf Authentizität erpicht ist. Aber Wenders hat ein etwas stumpfes Beharren darauf nichts dazu lernen zu müssen, das mit den Jahren immer sturer wirkt.

Noch einmal schwoll das Buh des Publikums an: Als ganz am Ende des Films ein Insert erschien, das jenseits aller Geschmackfragen jeder im Saal als eine echte Beleidigung empfand: "Gewidmet Ingmar Bergman und Michelangelo Antonioni."