China: Sommer der Proteste?
In der Volksrepublik herrscht angesichts der Spannungen mit den USA, der instabilen Weltlage und der weiter rasanten sozialen Veränderungen offenbar eine Stimmung der Verunsicherung
Die Zeiten werden offensichtlich rauer in China, wie unter anderem das harsche Vorgehen gegen Arbeiter und Unterstützer in Hongkongs Schwesterstadt Shezhen zeigt, über das wir am Wochenende berichtet haben. Asia Times Online spricht von einem Sommer der Proteste, der am neuen Kult um den Parteichef und Präsidenten Xi Jinping kratze.
Das bezieht sich allerdings eher auf kritische Diskussionen im akademischen und bürokratischen Milieu. Dort kommen offensichtlich Zweifel an der Außenpolitik des Präsidenten auf. Sowohl die Konfrontation mit den USA als auch die enormen Ausgaben für die Neue-Seidenstraße-Politik werden hinterfragt. Letztlich geht es um die Frage, ob China tatsächlich die Zurückhaltung aufgeben soll, die seine Außenpolitik seit Beginn der 1980er Jahre gekennzeichnet hat.
Das Online-Magazin zitiert einen nicht übersetzten Essay von Xu Zhangrun, der an der einflussreichen Tsinghua Universität in Beijing Verfassungsrecht lehrt.
“People nationwide, including the entire bureaucratic elite, feel once more lost in uncertainty about the direction of the country and about their own personal security, and this rising anxiety has spread into a degree of panic throughout society.”
Xu Zhangrun, Verfassungsrechtler an der Tsinghua Universität in Beijing
China hat nun 26 Jahre Wachstum ohne größere Konjunktureinbrüche hinter sich. In den Geschichte des Kapitalismus ist das ziemlich ungewöhnlich, auch in Staaten mit einer ähnlich aktiven, regelnd eingreifenden Wirtschaftspolitik, wie in China üblich.
Dabei hat es an Warnern nicht gefehlt. Spätestens seit der 1998er Krise finden sich alle zwei, drei Jahre allerlei Journalisten, Publizisten und Ökonomen, die jetzt aber wirklich und ganz sicher Anzeichen für eine bevorstehende große Krise sehen.
Dabei sind zwei Dinge sicher. Erstens: Alle Warner haben in den vergangenen 20 Jahren regelmäßig sehr falsch gelegen. Zweitens: Es hat bisher noch keine kapitalistische Marktwirtschaft gegeben – und um eine solche handelt es sich in China trotz aller sozialistischen Etiketten natürlich –, die krisenfrei funktioniert hätte. Wie hierzulande muss man auch in China die nächste Krise nur ausdauernd genug vorhersagen, um irgendwann unweigerlich Recht zu bekommen.
Zwischenzeitlich scheint sich die Führung aber erst einmal mit verstärkter Repression zu behelfen, wie das oben erwähnte Vorgehen gegen Gewerkschafter belegt. Auch Kampagnen, die an den "patriotischen Geist" der Intellektuellen appellieren, gehören zum Arsenal.
Und nicht zuletzt ist Chinas Devisen-Kasse, mit der der heimischen Wirtschaft notfalls neue Anschübe über das Auslandsgeschäft in anderen Entwicklungsländern gegeben werden kann, noch immer prall gefüllt. Die Zukunft ist also weiter offen, und sicher ist allein, dass die Zeiten bewegt und hier wie dort zunehmend ungünstig für Menschenrechte aller Art sind.