Corona: Sterbefälle auf weiter hohem Niveau
Anders als bei der Zahl der Neuinfizierten gibt es bei den Todesfällen in Deutschland bisher keinen abnehmenden Trend. Dunkelziffer weiter unbekannt, aber in anderen Ländern hoch
Am gestrigen Dienstag sind nach den von der Funke Medien Gruppe gesammelten Daten in Deutschland 327 neue Corona-Todesfälle hinzugekommen. Jeden Tag sind es zurzeit zwischen 200 und 300 neue Todesfälle. Es soll ja immer noch Menschen geben, die es mit dem Bundesgesundheitsminister halten, der im Januar meinte, das sei alles so etwas ähnliches wie eine Grippewelle.
Tatsächlich sieht ja auch die Gesamtzahl von etwas über 5.000 gemeldeten Toten im Vergleich zu den gern zitierten schwersten Grippewellen mit rund 20.000 Sterbefällen noch nicht so beeindruckend aus. Allerdings werden dabei Äpfel mit Birnen verglichen und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht.
Zum einen ist die Coronakrise noch keineswegs abgeschlossen, und sollte die Zahl der täglich gemeldeten Sterbefälle nicht deutlich zurückgehen, dann haben wir die 20.000er Marke in rund zwei Monaten erreicht. Und da es keinen Impfstoff und auch noch keine wirklich wirksamen Medikamente für die schwersten Fälle gibt, ist die einzige Möglichkeit zur Schadensbegrenzung bis auf weiteres, die Zahl der Neuinfektionen zu verringern. (Nebenbei: Es mehren sich übrigens die Berichte über Langzeitschäden bei Genesenen.)
Zum anderen gibt es einen wesentlichen Unterschied im Charakter der Daten. Bei den Corona-Todesfällen handelt es sich in Deutschland um Menschen, die als Corona-Patienten bekannt und verstorben waren. Bei den Grippe-Sterbezahlen handelt es sich hingegen nur in Ausnahmefällen um gemeldete Grippefälle. Vielmehr wird die Zahl der Grippetoten aus der Sterbestatistik abgeschätzt.
Zu diesem Zweck wird über eine größere Zahl von Jahren der Durchschnitt für den jeweiligen Kalendermonat, die Kalenderwoche oder auch einen einzelnen Tag gebildet. Je nachdem, welcher Zeitraum für die Beurteilung der Auswirkungen einer Grippewelle interessiert. Dann werden die aktuellen Sterbezahlen mit dem Durchschnitt verglichen. Von der Differenz abzüglich des Rauschens in den Daten, der Standardabweichung, lässt sich dann sagen, dass dies höchst wahrscheinlich Grippetote waren.
Ein ähnlicher Abgleich lässt sich auch für Corona-Sterbefälle machen, doch liegen in Deutschland noch nicht die nötigen Sterbezahlen vor. Das Statistische Bundesamt destatis hat bisher nur die Sterbestatistiken bis Mitte März veröffentlicht. Zu diesem Zeitpunkt waren in Deutschland erst 13 "Coronatote" gemeldet. Selbst wenn die Dunkelziffer ein Vier- oder Fünffaches betrüge, ginge diese noch im Rauschen der Daten unter. Entsprechend zeigt sich in den deutschen Zahlen bis dahin auch keine Auffälligkeit.
Für andere Länder gibt es allerdings neuere Sterbedaten, die sich mit den gemeldeten Corona-Fällen vergleichen lassen. Wir hatten bereits Anfang April berichtet, dass in Italien, vor allem in Teilen der Lombardei der Sterbeüberschuss erheblich über der – keinesfalls niedrigen – Zahl der gemeldeten Fälle hinaus geht.
Nun hat die New York Times sich die entsprechenden Statistiken für einige Metropolen und Länder angeschaut. Herauskam meist Alarmierendes. In New York City muss zum Beispiel für den Zeitraum 11. März bis 18. April zu den gemeldeten 13.240 Corona-Toten mit 4.000 weiteren Fällen gerechnet werden. In Spanien müssen zu den zwischen dem 9. März und dem 5. April gemeldeten 12.401 weitere 7.300 Fälle hinzugezählt werden. In Istanbul ist die tatsächliche Zahl der Corona-Opfer wahrscheinlich sogar doppelt so hoch wie gemeldet.
Besonders dramatisch fällt die Diskrepanz in Indonesiens Hauptstadt Jakarta aus. Hier wurden laut New York Times im März 84 Menschen gemeldet, die an Corona gestorben waren. Allerdings gab es in der südostasiatischen Metropole im vergangenen Monat 1.000 Bestattungen oder 36 Prozent mehr, als der langjährige Durchschnitt erwarten ließen.
Doch könnte das zum Teil auch andere Ursachen haben, denn die offensichtlich für eine Millionenstadt sehr niedrigen Bestattungsziffern lassen vermuten, dass die Erfassung sehr lückenhaft ist oder die Mehrzahl der Toten außerhalb der Stadt beigesetzt wird. Daran könnte sich ein wenig geändert haben, was die Aussagekraft der Statistik beeinträchtigen würde.
Derweil müssen nach den von der New Yorker Zeitung ausgegrabenen Daten in der Schweiz, in Belgien sowie in England und Wales zu den gemeldeten Corona-Sterbefällen jeweils noch ein knappes bis ein sehr gutes Drittel hinzugezählt werden. Einzig in Schweden scheinen tatsächlich alle Corona-Sterbefälle erfasst zu werden.
Dort kommen inzwischen nach den Daten des Worldometers auf eine Millionen Einwohner 175 offizielle Corona-Sterbefälle. In Deutschland sind es 61, in den USA 137, in den Niederlanden 229, in Großbritannien 255, in Italien 408, in Spanien 464 und in Frankreich 319.
In Südkorea hingegen nur fünf. Vielleicht hätten die Europäer, statt Grippe-Märchen zu erzählen und sich Rat bei Soziologen und Paläontologen zu holen, einfach mal schauen sollen, was andernorts funktioniert.