Das Drogenverbot ist (mal wieder) am Ende
Der hochtechnisierte und globale Markt produziert ständig neue Substanzen, eine Kontrolle wird immer schwieriger
Die Problemlage ist seit langem bekannt: Einerseits steht eine Unmenge von Genussmittel und psychoaktive Substanzen zur Verfügung, die von Bürgern aus unterschiedlichsten Gründen konsumiert werden. Andererseits unterwirft sich die Gesellschaft über ihre Institutionen umfangreichen Regelwerken, die diesen Konsum in geordnete Bahnen lenken sollen. Während man bei den Genussmitteln froh darüber ist, dass der Staat deren Herstellung reglementiert und Inhaltsstoffe kontrolliert, damit gesunde Ernährung möglich bleibt, wird die Reglementierung bei den psychoaktiven Substanzen von einer mittlerweile nicht unerheblichen Teil von Bürgern und Experten kritisch gesehen. Denn um die Einhaltung der Regeln zu gewährleisten, setzt der Staat auf das Strafrecht. Wer also meint ein Kilogramm Zucker zu besitzen, der darf dies tun, bei einem Kilogramm Kokain sieht das anders aus.
Selbstschädigung unerwünscht, die Strafbewertheit des Besitzes von Drogen soll zudem deren Ausbreitung verhindern, der Schwarzmarkt muss die Wünsche der Kunden befriedigen. Rund um die Verhinderung illegaler Produktion und des Handels ist ein globales Politikfeld entstanden, in den USA der "war on drugs" genannt. Immer wieder weisen Expertenkommissionen auf die mangelnde Effektivität und Effizienz dieser Drogenverbotspolitik hin. Gleichwohl ist über die Jahrzehnte ein umfangreicher Katalog verbotener Drogen entstanden, der, je nach politischer Strömung, weltweit zwar leicht variiert, im Grunde aber die gleichen Substanzen umfasst. Neue Substanzen, die als potentiell gefährlich gelten, werden hier eingefügt.
Seit einigen Jahren wird diese etablierten Drogenpolitik von einer Entwicklung überrollt, deren Ausmaße nun immer deutlicher werden. Die Technik zum Betrieb von chemischen Laboratorien hat sich vereinfacht und verbilligt, zudem ist das Wissen um die Synthese von neuen Molekülstrukturen durch das Internet hoch verfügbar. Durch die Öffnung des asiatischen und hier vor allem chinesischen Marktes steht eine Vielzahl von Produktionsstätten bereit, die auf jede Änderung in Drogengesetzen mit einer Änderung der chemischen Struktur der verbotenen Substanzen reagieren. Angedeutet hatte sich das schon 2004 bei Spice, einer obskuren Mischung aus synthetischen Cannabinoiden und Pflanzenteilen. Der psychoaktive Inhaltsstoff nannte sich JWH-018. Das eingeleitete Verbot führt dazu, dass andere Cannabinoide benutzt wurden, beispielsweise HU-210.
Einige weitere Beispiele:
1. Seit einigen Jahren beschickt die Szene der globalen Research-Chemicals- Experten in kurzen Abständen den Markt mit neuen Derivaten von Cathinonen. Eine 2009 durchgeführte Online-Befragung von knapp 2300 Website-Besuchern des Club-Magazins MixMag förderte zu Tage, dass bereits 41 Prozent das Cathinon-Derivat Mephedron schon einmal konsumiert hatten - oder das, was sie dafür hielten.
2. Auf den Websites chinesischer Anbieter ist eine weitere chemische Gruppe erhältlich, die sogenannten Piperazin-Derivate. Piperazin wurde früher gegen Wurminfektionen eingesetzt, seine stimulierenden Abkömmlinge BZP, TFMPP und m-CPP tauchen seit ein paar Jahren auf den europäischen Märkten auf. Nach Angaben der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht ( EBDD) enthalten zwischen 20 und 50 Prozent aller in den EU-Mitgliedsländern als Ecstasy verkauften Tabletten mittlerweile Anteile von m-CPP. Weder m-CPP noch die anderen Derivate wurden bislang in klinischen kontrollierten Studien an Menschen getestet.
3. Eine jüngst veröffentlichte Erhebung zeigt, dass zwischen 1997 und 2011 über 200 neue Substanzen vom europäischen Frühwarnsystem entdeckt wurden, 49 Molekülstrukturen alleine im letzten Jahr. Der letzte Schrei scheinen Derivate von Pipradrol zu sein.
4. Die Produzenten gehen kaum noch das Risiko ein, eine bereits illegale Substanz unter einem anderen Namen zu verkaufen, sondern stellen umgehende neue Strukturen her, die noch nicht vom Verbot betroffen sind. So fand eine Gruppe um Kevin Shanks von den AIT Laboratories jetzt heraus, dass 95% der von ihnen untersuchten, in den USA von der DEA beschlagnahmten synthetischen Cannabionide und Stimulantien überhaupt nicht im Katalog der aktuell verbotenen Drogen standen.
In den USA behilft man sich nun damit, ganze Substanzklassen für illegal zu erklären. Reflexhafte Verbotsreaktionen werden das Problem nicht aus der Welt schaffen. Ähnlich wie beim Urheberrecht überrollt zur Zeit die technische Entwicklung die gesetzlichen Rahmenbedingungen. Und hier wie dort werden Konsumenten kriminalisiert. Das Ziel der "drogenfreien Gesellschaft" ist überholt, diskutiert werden müssen neue Mittel und Wege, wie mit Drogen sinnvoll umgegangen werden kann.