"Digitale Variante von Vandalismus"
Ein Dienstleister der Filmwirtschaft veranlasste versehentlich vimeo.com zur Sperrung von unter Creative Commons stehenden Videos, obwohl diese von den Urhebern sogar selbst eingestellt wurden
Scheinbar die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen (GVU) forderte am Montag das Videoportal vimeo.com vorgeblich im Auftrag von hierzu berechtigten Urhebern zur Entfernung von Videos auf - und zwar in den Channels der Urheber selber, die ihr Material dort ganz offiziell eingestellt hatten. Ausgerechnet die Clips von bekannten Kritikern der Content-Industrie wie Alexander Lehmanns preisgekröntes Video "Du bist Terrorist" und vier Folgen des Elektrischen Reporters gerieten ins Visier der selbsternannten Urheberrechtspolizei.
Die GVU ist ein von der Film- und Spielwirtschaft getragener Verein, der sich an PR-Kampagnen zur Stärkung der Urheberrechtsmoral beteiligt und selbst auf die strafrechtliche Jagd nach "Raubkopierern" geht. Im Visier der GVU befinden sich allerdings nicht kleine Fische wie private Filesharer, vielmehr geht es der GVU um kommerzielle Verwerter wie Kino.to sowie um diejenigen Bootlegger, welche die "erste Kopie" ins Netz stellen sowie das Aufspüren von diskreten, gut gesicherten Tauschnetzwerken. Die GVU ist praktisch nicht mit zivilrechtlichen Maßnahmen befasst, vielmehr arbeitet sie den Strafbehörden zu. Ausdrücklich nicht zu ihrem Aufgabenfeld gehören Serienabmahnungen gegen Filesharer oder das Notice-and-Takedown-Verfahren, wie es in Deutschland etwa in § 10 TMG geregelt ist.
Letzteres obliegt jedoch dem häufig mit der GVU zusammenarbeitenden Dienstleister OpSec, der das Internet nach möglichen Urheberrechtsverletzungen durchkämmt. Vorliegend ging es in einem Projekt "Portalschließung" um Websites, die Links auf nicht lizensierte Filme setzten bzw. entsprechende Downloadverwaltung vorhielten. Wie GVU und OpSec gegenüber Telepolis übereinstimmend mitteilten, hatte OpSec vorliegend nicht im Auftrag der GVU gehandelt, wohl aber in dem der praktisch identischen Klientel. Dennoch hatte sich OpSec - warum auch immer - gegenüber vimeo.com auf die GVU berufen. OpSec bekämpfte insbesondere eine Website namens "Monsterstream", die eine Vielzahl an urheberrechtlich fragwürdigen Linkadressen ventilierte.
"Monsterstream" hatte auch auf das "Du bist Terrorist"-Video verlinkt. Auf der Arbeitsebene unterlief OpSec der Fehler, neben den massenweise wohl berechtigten Löschungsaufforderungen an Provider eben auch dieses Video zu löschen. Diese Aufforderung erging offensichtlich ohne ernsthafte Überprüfung des Verdachts einer Urheberrechtsverletzung, denn das Video steht ausdrücklich unter einer Creative Commons-Lizenz, der Channel ist der des Urhebers, und inhaltlich steht das Video eher nicht im Verdacht, die Content-Industrie ausgerechnet mit digitalen Schnüffeldiensten zu beauftragen.
Die weder von Lehmann, noch von der GVU beauftragte OpSec maßte sich gegenüber vimeo.com an, die Sperrung wegen angeblichen "Copyright Infringements" zu veranlassen. Wer die Videos fortan aufrief, dem wurden die Channel-Inhaber wegen angeblicher Urheberrechtsverletzung denunziert. Weder Lehmann, noch Sixtus hatten jedoch jemals die GVU mit der Wahrnehmung ihrer Rechte beauftragt, auch halten sich beide peinlich genau an das Urheberrecht, wenn es um die Nutzung fremden Materials geht. Die beißende Ironie an der Sperrung von Lehmanns Clip liegt darin, dass exakt dieser Clip von der Piratenpartei im Wahlkampf verwendet wurde, also dem erklärten Gegner von Überwachern wie OpSec und Konsorten.
Mario Sixtus hatte ebenfalls seine Clips ausdrücklich unter eine Creative Commons-Lizenz gestellt, verwendet außer dem eigenen nur gemeinfreies Material und käme nicht im Traume auf die Idee, die Verwertungsindustrie mit Löschungsaufforderungen zu beauftragen. Auch bei Sixtus könnte die Fallhöhe schwerlich höher ausfallen, denn betroffen waren ausgerechnet die Folgen "Urheber 2.0: Jeder Nutzer ein Pirat?", "Urheber 2.0: Was tun, wenn keiner kauft?" und "Digitaler Aktivismus: aus dem Netz auf die Straße" sowie "Microblogging: Leben in 140 Zeichen", was Sixtus zur Freude der Netzgemeinde sofort auslebte.
Der scheinbar im Auftrag des Urhebers ausgerechnet beim Urheber vollzogene digitale Bildersturm erhitzte auch beim normalerweise fachmännisch gekühlten elektrischen Reporter die Schaltkreise. Gegenüber Telepolis sprach Sixtus von "digitalem Vandalismus". Nachdem die GVU, die ja in Sachen Urheberrecht eine Vorbildfunktion hat und in deren Namen ja zumindest dem Anschein nach gehandelt wurde, nicht zur Abgabe einer Unterlassungserklärung bzgl. Eingriffen in das Urheberrecht von Sixtus bereit war, ließen Sixtus und dann auch Lehmann den Lawblogger Udo Vetter von der Kette, der schließlich kostenpflichtig abmahnte. Inwieweit sich die GVU das Handeln der mit ihr nun einmal schon irgendwie verbandelten OpSec zurechnen lassen muss, ist derzeit noch unklar.
Jedenfalls aber entschuldigte sich die GVU öffentlich für die ihr jedenfalls zugerechnete Panne in einer gemeinsam mit OpSec verbreiteten Presseerklärung. Die Firmen beeilten sich, die peinliche Angelegenheit gegenüber vimeo.com richtig zu stellen, jedoch waren offenbar wegen des Zeitunterschieds zum in New York ansässigen Unternehmen zumindest am Dienstag die Löschungen noch nicht revertiert.
Für OpSec, bei denen nun der Schwarze Peter liegt, ist diese unfreiwillige Aufwertung bekannter Kritiker des digitalen Schnüffelns ein Super-GAU, der Fragen nach der Professionalität der Arbeitsweise aufwirft. Spekulationen über unqualifizierte 400,- Euro-Jobber in Sweatshops drängen sich auf, sowie über eine Dunkelziffer weiterer "Kollateralschäden" durch übereifrige Löschwünsche.
Dass ausgerechnet die selbsternannten Verteidiger des Urheberrechts so sorglos mit dem Thema umgingen und durch Anmaßung der Urheberrechte ihrerseits wohl gegen § 97 UrhG verstießen, ist eine kaum verzeihliche Farce. Sixtus allerdings hat nun Stoff für eine weitere Folge seiner spleenigen Dialoge mit Lobo. Darüber, wer von beiden den Fürsprecher von OpSec spielen würde, darf spekuliert werden.