Eine Frage der Ehre?
Die Luxemburger Polizisten schweigen zur geplatzten Bombe
Richterin Sylvie Conter und Rechtsanwalt Gaston Vogel wurden kürzlich jeweils zur Luxemburgerin und zum Luxemburger des Jahres 2013 gewählt. Während die Vorsitzende Richterin der temperamentvollen Strafverteidiger letztes Jahr im Jahrhundert-Prozess um die geheimnisvolle Bombenserie der 1980er Jahre mehrfach in die Schranken wies, wirken sie inzwischen beinahe wie ein Team, wenn sie ihren Unmut über die polizeilichen Zeugen im Bommeleeër-Prozess äußern. Etliche Polizisten und deren Vorgesetzte, die bereits unter Eid vernommen wurden und erstaunliche Gedächtnislücken aufwiesen oder widersprüchlich aussagten, mussten ein weiteres Mal in den Zeugenstand. Vogel vermutet, dass sich die Männer an einen Eid gebunden sehen.
Am nunmehr 126. Prozesstag, den wie stets das Luxemburger Wort und Tagblatt live protokollierten, wurde u.a. der spätere Polizeidirektor Charles Bourg trotz seiner notorischen "Amnesie" erneut gehört. Der inzwischen pensionierte Bourg war 1985 während des EU-Gipfels verantwortlicher Operationschef, als dort plötzlich auf dem Gelände eine Bombe explodierte – wenn auch eine für einen ernsthaften Anschlag erstaunlich kleine. Die Bombe soll aus einem weißen Audi 100 geworfen worden sein, obwohl die Autobahn für den Verkehr gesperrt worden war. Erst im Januar wurde bekannt, dass der Audi verfolgt und gestellt worden war. Am Steuer des zur Eliteeinheit BMG gehörenden Autos soll der Gendarm Jos Steil gesessen, so dass man an einen Irrtum glaubte. Doch der inzwischen verstorbene Steil gilt inzwischen als einer der Hauptverdächtigen. Welcher Beamte den Wagen kontrollierte, ist bislang unbekannt, über den gesamten Bombenanschlag liegt dem Gericht kein Bericht vor. Ein anderer Polizist will Steil zur Tatzeit im Konferenzzentrum gesehen haben.
Bourg scheint der Allercoolste gewesen zu sein. Als die Bombe explodierte, befand er es offenbar nicht einmal für notwendig, die Einsatzzentrale zu verlassen und sich den Tatort anzusehen. Offenbar scheint er gefühlt zu haben, dass der Angriff harmlos und wohl schon vorbei war. Während sich die deutsche Polizei offenbar auf eine Evakuierung der Gebäude vorbereitete, ließ Bourg nach Rücksprache mit dem Außenministerium den Gipfel nicht unterbrechen. Conter und Vogel staunten über das Desinteresse Bourgs an der Bombe, da ein Bombenanschlag das "Schlimmste" gewesen sein dürfte, was hätte passieren können. An das Auto konnte er sich auch nicht erinnern.
Vogel ging das Temperament wieder durch: "Herr Bourg, Sie sind im ganzen Land bekannt dafür, dass Sie Leuten Protokolle ausgeteilt haben, weil sie mit 65 km/h statt 60 km/h gefahren sind. Und für jemand, der im Verdacht steht, eine Bombe gelegt zu haben, interessieren Sie sich überhaupt nicht?" Herrn Bourg sei die Bombe offenbar sch***egal gewesen. Auch die Richterin verstand nicht, wie man so arbeiten könne, immerhin sei eine Bombe explodiert. Ob ein Bericht angefertigt wurde, ist unklar. Auch der Staatsanwalt wunderte sich, dass es nach einem solchen Fehlschlag des Sicherheitskonzepts kein Debriefing gegeben haben soll.
Beim Termin am Mittwoch meldete sich überraschend im Zuschauerraum ein Zeuge. Der Polizist Frantzen war damals für die Sicherheit des deutschen Außenministers (Genscher) zuständig gewesen. Er gab an, damals 200 m von der Explosion entfernt gewesen zu sein und machte als erster Zeuge zu dem Vorfall detaillierte Aussagen. Über das Auto könne er nichts sagen, ein solches der Gendarmerie hätte er jedoch erkannt. Es hätte sich nur der Kollege Zovilé in der Nähe befunden. Der hatte am Dienstag ebenfalls behauptet, für ihn hätte die Sicherheit des Gipfels eine höhere Priorität als die Fahndung nach den Attentätern gehabt.
Noch immer gibt der Umgang der Luxemburger Polizei mit der Terrorserie Rätsel auf. So waren die Phantombilder, welche nach dem Anschlag auf die Kasematten von vier Verdächtigen angefertigt wurden, nicht veröffentlicht worden, sie hatten es wohl nicht einmal in die Akten der Sûreté geschafft. Untersuchungen durch Behörden und Untersuchungsrichter waren schlampig und auffällig halbherzig geführt worden. Insbesondere wurde nie das Militär auch nur verdächtigt, was zu einer sorgfältigen Ermittlung gehört hätte. Stattdessen riet ein Minister der Polizei sogar, nach den Bombenlegern pendeln zu lassen - was man tatsächlich versuchte.