Eine neue Edo-Ära in Japan?
Nach zwei "verlorenen Dekaden" ohne Wirtschaftswachstum träumen zunehmend mehr Japaner von einer Rückkehr zu den alten japanischen Werten "sozialer Harmonie und Nullwachstum"
Der führende Intellektuelle und Vizegouverneur von Tokio Naoki Inose erklärte laut Project-Syndicate jüngst die Ära des Wachstums überhaupt für beendet: "Als Japan vom westlichen Imperialismus bedroht war, musste es sich öffnen (1868) und modernisieren. Dieser Prozess ist abgeschlossen. Japan ist jetzt bereit, wieder an die eigene Tradition von sozialer Harmonie und Nullwachstum anzuknüpfen." Dabei bezog er sich auf die Edo-Ära, die von 1600 bis 1868 andauerte.
Inose, der sich einer rapide wachsenden Anhängerschaft erfreut, sieht das Schrumpfen der Bevölkerungszahl als Chance: "Eine kleinere Bevölkerung wird den ausreichenden Wohlstand genießen, der angesammelt wurde, und wird seine Kreativität von nun an in die Verfeinerung der Kultur investieren." Um nicht gegenüber China in eine ähnliche Situation zu geraten wie 1953 gegenüber den USA, die mit ihren Kanonenboten die Öffnung des Japanischen Marktes erzwungen hatten, sei übrigens auch eine starke Armee erforderlich.
Nachdem die japanische Wirtschaft in den vergangenen zehn Jahren insgesamt kaum fünf Prozent gewachsen ist, gewöhnen sich japanische Männer daran, erst mit 30 Jahren arbeiten zu gehen. Verheiratete Frauen bleiben überhaupt zu Hause, wobei oft erst der traditionell starke Familienzusammenhalt diese Lebensform ermöglicht.
Eigentlich sollte das angesichts der weltweit am stärksten überalterten Gesellschaft zu einiger Besorgnis führen. Schließlich kann (sieht man mal vom Außenhandel ab) der nicht-arbeitende Bevölkerungsteil grundsätzlich nur das konsumieren, was der arbeitende Teil produziert. Das aktuelle Konsumniveau könnte dank steigender Produktivität vermutlich auch mit sinkender Beschäftigtenzahl und geringerem Ressourceneinsatz gewährleistet werden. Problematisch dürfte allerdings werden, dass dann auch die Arbeitseinkommen gegenüber den Vermögenseinkommen zurückgehen würden.
Derzeit scheinen sich die Japaner auf ihre pro Kopf weltweit höchsten privaten Ersparnisse zu verlassen, die vor allem im Inland in Staatsanleihen und als Guthaben bei der staatlichen Postbank angelegt sind. Diese Vermögen werden von den älteren Japanern gehalten und könnten natürlich innerhalb der Familien umverteilt werden, was soziale Spannungen vermeidbar machen könnte. Käme nun aber der Staat Japan in Finanzierungsschwierigkeiten, der immerhin die weltweit höchste staatliche Verschuldung von fast 200 Prozent des BIP vorweisen kann, dürfte die finanzielle Lebensplanung etlicher Japaner ins Wanken geraten und Regierung und Notenbank vermutlich zu noch kreativeren Maßnahmen treiben, was inzwischen nach Japans Vorbild als "Quantitative Easing" bei den führenden Notenbanken salonfähig wurde. Das Ziel des Nullwachstums wäre so sicherlich gut erreichbar. Ob dann auch die soziale Kohäsion gesteigert würde und eine Verfeinerung der Kultur damit einherginge, darf wohl bezweifelt werden.