Empörendes Urteil gegen IWF-Chefin
Christine Lagarde wurde zwar schuldig gesprochen, dass wegen ihrer Nachlässigkeit ein Unternehmer Hunderte Millionen aus der Staatskasse erhalten hat, doch bestraft wird sie dafür nicht
Wer noch eines Beispiels bedurfte, dass es ziemlich spanisch auch in Frankreich zugeht, dem oder der kann geholfen werden. Denn absurder kann es kaum zugehen, als vor einem Pariser Sondergericht, das sich mit der Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF) und ehemaligen französischen Wirtschaftsministerin befasst hat.
Eine Nachlässigkeit im Wert von 400 Millionen Euro
Das Ganze begann schon damit, dass der Generalstaatsanwalt mehrfach die Einstellung des Verfahrens gegen Christine Lagarde gefordert und schließlich auf Freispruch plädiert hatte. Insofern ist es fast schon erstaunlich, dass der für Regierungsmitglieder zuständige Gerichtshof sie tatsächlich noch dafür schuldig befunden hat, dass wegen ihrer Nachlässigkeit 400 Millionen Euro an den Unternehmer Bernard Tapie fließen sollten. Sie habe fahrlässig im Amt gehandelt, wurde sie am Montag vom Cour de Justice de la République schuldig gesprochen, doch der Gerichtshof sah trotz allem von einer Strafe gegen sie ab!
Tapie war ein Wahlkampfhelfer des abgestürzten Ex-Präsidenten Nicolas Sarkozy, in dessen Regierung Lagarde Wirtschaftsministerin war. In dieser Funktion akzeptierte sie einen Vergleich, den sie - auch dem Urteil des Gerichtshofs zufolge - hätte ablehnen müssen.
Tapie, der auf Übernahmegeschäfte spezialisiert ist, klagte im Fall der Adidas-Übernahme auf Schadensersatz. Der französische Milliardär hatte 1993 seine Mehrheitsanteile an Adidas für 315,5 Millionen Euro an die damals noch staatliche Großbank Crédit Lyonnais verkauft. Die verkaufte die Anteile im folgenden Jahr für 701 Millionen weiter, weshalb Tapie sich betrogen fühlte und auf Schadenersatz klagte.
Sehr schlechtes Geschäft für den Steuerzahler
Statt den Fall von einem ordentlichen Gericht entscheiden zu lassen, wies ihn die heutige IWF-Chefin und damalige Wirtschaftsministerin einem privaten Schiedsgericht zu. Dem für Tapie mehr als günstigen Schiedsspruch stimmte sie schließlich dann auch noch zu. Demnach sollte Tapie aus der Staatskasse nicht nur etwa 400 Millionen Euro bekommen, sondern auch noch eine sehr hohe "moralische Wiedergutmachung" von weiteren 45 Millionen. Insgesamt sollte Tapie statt 315 Millionen also sogar etwa 760 Millionen einfahren. Ein gutes Geschäft für den Sarkozy-Helfer und ein sehr schlechtes Geschäft für die Steuerzahler.
Inzwischen haben aber ordentliche Gerichte den von Lagarde abgenickten Schiedsspruch aufgehoben. Gegen Tapie und andere wird zudem wegen des Verdachts auf bandenmäßigen Betrug ermittelt. Einer der drei Schiedsmänner soll enge Verbindungen zu Tapie haben und das Urteil in dessen Sinne beeinflusst haben.
Natürlich, wenn man sich die absurden Vorgänge anschaut, wurden keine Ermittlungen gegen Lagarde in diesem Zusammenhang eingeleitet, sondern nur gegen ihren früheren Kabinettschef Stéphane Richard, den Schiedsmann und andere. Wie sogar der Schuldspruch für Lagarde nun konsequenzlos bleibt - auch der IWF stellt sich weiter hinter die dubiose Chefin und spricht ihr das "volle Vertrauen" aus, blieb auch für Richard bisher alles konsequenzlos.
Er führt bis heute gutbezahlt den Telekomkonzern Orange, an dem der französische Staat mit knapp 30% Mehrheitsaktionär ist. Tatsächlich, wie die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) feststellt, hat man es mit einer "grobfahrlässigen Justiz" zu tun. Es stimmt auch, dass sich der Gerichtshof "selber diskreditiert" hat und abgeschafft gehört. Doch das sollte, im Gegensatz zur Forderung der rechtsliberalen NZZ, geschehen, weil ein Schuldspruch erfolgt ist, der keine Konsequenzen hat und ein fatales Signal in die Gesellschaft sendet.
Die NZZ fabuliert dagegen davon, das Urteil stütze sich "nicht auf solide Beweise" und das Verfahren habe angeblich "schon von Anfang an das Recht auf einen fairen Prozess" verletzt. Das kann nur noch als Realsatire verstanden werden. Wenn schon Lagarde, die nach dem US-Magazin Forbes unter den zehn mächtigsten Frauen weltweit geführt wird, kein faires Verfahren bekommt, wie sieht das dann wohl in den gemeinen Gerichtsverfahren in Frankreich aus.
Straflos davonkommen
Dort kann ein einfacher Angeklagter wohl kaum darauf hoffen, zwar schuldig gesprochen zu werden, aber straflos davonzukommen. So etwas gibt es nur für Mächtige, wie es zuletzt auch das absurde Urteil in den Niederlanden gezeigt hat. Gerade wurde der rechtsradikale Geert Wilders schuldig gesprochen, Einwanderer grob verunglimpft zu haben. Doch als Einladung zur Wiederholung verzichtete auch das Gericht in den Niederlanden auf eine Bestrafung.
Es behauptete, er sei durch Schuldspruch genug gestraft. Wilders lacht sich ins Fäustchen und Lagarde lacht offen bei der Urteilsverkündung in die Kameras.
Irgendwie muss man offenbar bestimmte "Qualitäten" mitbringen, um auf den Chefsessel des IWF zu kommen. Das hat der ehemalige französische IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn gezeigt, der 2011 wegen mutmaßlicher versuchter Vergewaltigung aus dem Amt scheiden musste. Wegen versuchter Vergewaltigung stellte auch die Autorin Tristane Banon Strafanzeige gegen den Sozialisten, der auch an mutmaßlicher bandenmäßiger Zuhälterei beteiligt gewesen sein soll. Auch diese Verfahren verliefen sich allesamt in den Dschungeln der Gerichte konsequenzlos.
Der ehemalige IWF-Chef Rodrigo Rato aus Spanien ist in seiner Heimat in etliche Skandale verwickelt. Der frühere konservative Finanzminister wurde sogar kurzeitig festgenommen. Gegen ihn wird wegen Geldwäsche und zahlreicher Vergehen im Rahmen der Selbstbedienungsmentalität bei der großen Bankia-Bank ermittelt, die unter seiner Führung abgestürzt ist und die europäischen Steuerzahler Milliarden gekostet hat.
Deshalb wird er wegen Bilanzfälschung, Veruntreuung, etc. angeklagt. Er wird von der konservativen Regierung geschützt, weshalb unklar ist, ob er jemals verurteilt wird. Vielleicht wird auch er, wie seine Nachfolgerin Lagarde aber straflos schuldig gesprochen, denn das scheint ja nun in Mode zu kommen.