Empörten-Bewegung strebt an die Macht
In Spanien hat die Abstimmung über die Struktur der neuen Empörten-Partei begonnen, die im nächsten Jahr die Konservativen ablösen will
Tausende Aktivisten hatten sich am Wochenende in Madrid versammelt, um nach dezentralen "Bürgerversammlungen" zentral über Struktur und Statuten der neuen Partei Podemos (Wir können es) zu debattieren. Über die ausgearbeiteten Vorschläge wird nun bis zum 26. Oktober von mehr als 160.000 Personen per Internet abgestimmt, die am Gründungsprozess teilnehmen. Damit machte die neue Partei klar, die aus der Empörten-Bewegung kommt, dass sie den Bewegungscharakter behalten will.
Das Podemos-Aushängeschild Pablo Iglesias erklärt stets sehr selbstbewusst: "Wir sind angetreten, um zu regieren." Zunächst wurden der 36-jährige Politologieprofessor und seine Mitstreiter dafür belächelt. Doch das Lächeln verging vielen schnell, als die Partei gegen alle Prognosen im Mai bei den Europaparlamentswahlen aus dem Stand auf 8% kam und fünf Parlamentarier nach Straßburg schickte. 1,2 Millionen Menschen wählten sie. Andere Parteien der Bewegung, wie Partei X, konnten nicht überzeugen, die sich vor allem auf die Korruption konzentrierte, aber andere Themen vernachlässigte.
Podemos geht es darum, die Empörung der Straße "in politische Veränderung umzuwandeln". Das Führungsmitglied Clara Marañón erklärte in Madrid: "Podemos ist das Instrument der Menschen von unten, um das Regime zu brechen." Es geht um ein anderes gesellschaftliches Modell und um soziale Gerechtigkeit. Die Ziele zu erreichen, scheint angesichts der Erfolge nicht mehr ausgeschlossen. Belächelt wird die Partei nicht mehr, die nach Umfragen nicht nur die Vereinte Linke (IU) weit überflügelt hat.
Mit 21% ist die Linkspartei dabei, zweitstärkste Kraft vor den abgestürzten Sozialdemokraten (PSOE) zu werden. Denen wirft sie vor, an der Kürzungs- und Sparpolitik und der Verarmung der Massen mitgewirkt zu haben. Die PSOE hat mit der regierenden konservativen Volkspartei (PP) eilig sogar die Verfassung geändert, um eine Schuldenbremse zu verankern. Schulden für die Bankenrettungen werden "über alles" gestellt, wetterte Iglesias gegen "die Kaste". Beide Parteien haben auch der Abdankung von König Juan Carlos im Frühjahr auch eilig die Nachfolge auf Felipe geregelt. In Spanien wollten viele darüber abstimmen, ob man die vom Diktator restaurierte Monarchie behalten oder zur Republik zurückkehren will, gegen die 1936 geputscht worden war.
Das Land stehe auch deshalb in der Tradition der Diktatur, weshalb Podemos vom "Regime" spricht. PP und PSOE hätten sich darin eingerichtet, die deshalb "die Kaste" genannt wird. Deshalb hagelt es aus den Parteien und den ihnen nahestehenden Medien heftige Angriffe. Da viele sie wegen ständiger Skandale für korrupt halten, trägt das bisher nur zur Steigerung der Beliebtheit von Podemos bei. Ihr wird mal Populismus vorgeworfen, weil man ungerechtfertigte Schulden nicht bezahlen will und mal soll sie aus Venezuela oder sogar aus dem Iran finanziert werden, wofür aber keine Beweise vorgelegt werden.
Erfrischend werden die Widersprüche nicht in Hinterzimmern, sondern in aller Öffentlichkeit debattiert. Differenzen gibt es in der Führungsfrage. Während Iglesias dafür ist, dass die Partei von einem Generalsekretär geführt wird, will eine Gruppe um den behinderten Pablo Echenique, dass die Partei eine kollektive Führung von drei Personen erhält. Weil Iglesias mit "Effektivität" argumentiert, um die Parlamentswahlen 2015 zu gewinnen, sagte die Europaparlamentarierin Teresa Rodríguez: "Die Wahlen gewinnt nicht ein Generalsekretär, drei oder Hundert: die Leute gewinnen sie."
Starke Kontroversen gibt es auch, ob Podemos schon bei den Gemeinderatswahlen im kommenden Mai antreten soll. Klar ist, dass die Partei dafür nicht über nötige Strukturen verfügt. Unklar wäre, wer kandidiert und eventuell Podemos schweren Schaden zufügt. Solche Differenzen werden in Medien zu Machtfragen stilisiert. Angeblich soll Iglesias "auf den Tisch gehauen" haben und wolle nicht Spitzenkandidat werden, wenn seine Vorstellungen abgelehnt würden. Das hat er dementiert und die Entscheidungen in die Hände derer gelegt, die sich am Gründungsprozess beteiligen. "Ich bin nicht unersetzlich, ich bin ein Mitglied und kein Alpha-Männchen und ich stelle mich der Mehrheit zur Verfügung."
Einheit besteht längst in zentralen Fragen. Staatsschulden, die nicht gerechtfertigt sind, sollen nicht bezahlt mehr werden und das neue Bildungsgesetz soll geschleift werden, mit dem die PP die Position der katholischen Kirche in Schulen stärkt unter anderem Katalanen und Basken Sprachenrechte raubt, um sie "spanischer" zu machen. Abgeschafft werden sollen auch die Zuzahlungen im Gesundheitssystem und die Ausgrenzung von Einwandern. Denen wird oft der Zugang verwehrt und arme Menschen stehen oft vor der Entscheidung, sich etwas zu essen oder ein Medikament zu leisten.
Klar ist auch, dass Korruption härter bestraft werden soll und dass die eingeführten Gebühren, die armen Menschen nun den Zugang zur Justiz verwehren, gestrichen werden sollen. Dagegen hatten sogar Richter und Staatsanwälte gemeinsam gestreikt. Schluss soll auch mit den vielen Zwangsräumungen sein. Hunderttausende Familien wurden in der Krise aus den Wohnungen geworfen, weil sie Hypotheken oder Mieten nicht mehr bezahlen konnten. Verletzt wurde dabei oft die Verfassung, die in Spanien eigentlich ein Recht auf menschwürdigen Wohnraum garantiert. Beantragt werden die Räumungen zudem oft von Banken, die mit Steuermilliarden gerettet wurden. () Dort haben dagegen Führungsmitglieder eine Selbstbedienungsmentalität entwickelt, wie der Ex-Vizeministerpräsident und Ex-Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) Rodrigo Rato.