Europas größter Reifenfriedhof brennt in Spanien
Die riesige Rauchfahne des seit 16 Jahren illegalen Lagers ist aus Madrid genauso zu sehen wie aus dem All
Es war eine Katastrophe mit Ansage. Die Bewohner im spanischen Seseña haben sich 16 Jahre lang über die Vorgänge im Altreifenlager beklagt und vor den Gefahren für Mensch und Umwelt gewarnt, das nun etwa 40 Kilometer von der Hauptstadt Madrid entfernt abbrennt. Etwa fünf Millionen Reifen wurden im größten Lager dieser Art in Europa aufgetürmt, das seit 16 Jahren illegal ist.
Das Feuer hat bis heute gut zwei Drittel der fünf Millionen Altreifen erfasst. Sieben bis acht der etwa elf Hektar, auf dem 100.000 Tonnen Altreifen lagern, stehen offenbar in Flammen. Die Reifenberge wurden auch noch errichtet, nachdem das Lager 2005 von einem Richter illegal erklärt wurde.
In der Umgebung werden große Mengen Schwermetalle sowie andere giftige und krebserregende Stoffe freigesetzt. Gut 7000 Bewohner in Seseña mussten am Freitag ihre Wohnungen verlassen, als die Witterungsbedingungen die giftige Wolke nach unten gedrückt haben. Inzwischen soll die Feuerwehr das Feuer zwar nicht unter Kontrolle aber einigermaßen im Griff haben, damit es sich nicht weiter ausbreitet. Angeblich soll es noch drei bis vier Tagen dauern, bis es gelöscht sei. Das ist sehr optimistisch, denn in ähnlichen Fällen dauerte das zum Teil lange Zeit, da sich Autoreifen nur schwer löschen lassen.
Am Samstag gaben die Behörden Entwarnung und die Bewohner durften wieder in ihre Wohnungen zurückkehren. Doch das halten die "Umweltschützer in Aktion" für keine gute Idee. Denn viele Schadstoffe würden nicht einmal gemessen, die sich nun in der Luft befinden. Die Organisation, die immer wieder die Vorgänge in und um das Reifenlager angegriffen hat, erinnert daran, dass allein dieses Feuer so viele krebserregende polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffe ausstoßen dürfte, wie sie sonst in einem Jahr in ganz Spanien in die Umwelt gelangen. In Entfernung von 300 Meter zum brennenden Lager, wo sich eine große Siedlung befindet, wurden Konzentrationen von krebserregenden Stoffen gemessen, die bei dem stark krebserregenden Benzopyren sogar bis zu 3000-fach über den Grenzwerten liegen.
Die Vorgänge sind exemplarisch, wie in Spanien bisweilen mit Umweltfragen umgegangen wird, selbst wenn sie nicht zu übersehen sind. Schon vor 11 Jahren hatte ein Richter auf Klagen das Lager definitiv für illegal erklärt. Eigentlich gab es ohnehin nie eine Genehmigung zur Lagerung von Altreifen, sondern hier sollten Reifen nur recycelt werden. Und die lokalen Behörden haben auch nach dem Verbot wenig getan. Jahrelang wurden auch nach dem Verbot weiter kommerziell Reifen angeliefert. Das sei bis 2009 geschehen. Der Besitzer der Firma häufte Geldstrafen in Höhe von 690.000 Euro und eine Haftstrafe von drei Monaten an. Die hat er nie bezahlt und sich zwischenzeitlich abgesetzt.
Victorino Villadangos hat die Gewinne eingestrichen und die lokalen Behörden mit dem Problem zurückgelassen. Allerdings sind die nicht unschuldig an der Katastrophe. Denn der frühere sozialistische Bürgermeister José Luis Martín erteilte der Firma Disfilt S.A. plötzlich vor den Gemeinderatswahlen 2003 eine Genehmigung. Die wurde 2005 von einem Richter gekippt, was allerdings die Aktivitäten der Firma nicht gestoppt hat. Und auch die konservative Volkspartei (PP) hat sich nicht mit Ruhm bekleckert, die seit 2015 die Stadt und seit 2011 die Region regierte. Das Gelände war nicht versichert und wurde seit Februar nachts nicht mehr bewacht.
Dabei war spätestens seit 2011 eine Lösung möglich, als das Gelände von einem Gericht als verlassen erklärt wurde. Doch auch in den fünf zurückliegenden Jahren wurde das riesige Umweltproblem nicht wirklich angegangen. Zaghaft ließ die mit dem riesigen Problem überforderte kleine Gemeinde kleinere Reifenmengen abtragen. Die konservative Regionalregierung in Kastilien-La Mancha ließ sie mit dem Problem allein, dabei fällt Umweltschutz allein in ihre Kompetenz. Und erstaunlich ist, dass nun, nachdem sich nach den Neuwahlen vor einem Jahr die neue sozialistische Regionalregierung eingemischt hatte, und eine Lösung greifbar war, das Lager vermutlich durch Brandstiftung abgefackelt wurde.
Vier Tage nachdem man sich grundsätzlich zwischen den Regionalregierungen Kastiliens- La Mancha und Madrid – denn das Lager hat längst auf das Gebiet dieser Region ausgedehnt – geeinigt hatte, brach das Feuer am frühen Freitagmorgen aus. Demnach sollte eine staatliche Firma die enorme Halde abtragen. Aus den Altreifen sollte Brennstoff zurückgewonnen werden, um damit die Fahrzeuge der Behörden anzutreiben. Bezahlen sollte für das "innovative Projekt" und damit für die Beseitigung des spanischen Problems vor allem der europäische Steuerzahler. 4,5 Millionen Euro sollten aus dem Regionalfonds der EU kommen. Nur 1,5 Millionen Euro sollten aus lokalen Quellen des Verursachers kommen.