Spannungsfeld Iran: Eine Hinrichtung und ihre Folgen
Iran richtet einen Deutsch-Iraner hin. Die Bundesregierung schließt daraufhin iranische Vertretungen. Es droht eine Eiszeit mit unkalkulierbaren Folgen.
Mitleid, Ohnmacht, Fassungslosigkeit wecken die Bilder des gepeinigten Angeklagten Jamshid Sharmahd vor einem "Revolutionsgericht" in Teheran auf undatierten Aufnahmen. In gestreifter Häftlingskleidung steht der Deutsch-Iraner vor dem Mikrofon – ohne anwaltlichen Beistand und ohne Aussicht auf einen Freispruch oder gar ein faires Verfahren musste er sein Verhör über sich ergehen lassen.
Anfang der Woche dann die traurige Gewissheit für Familie und Freunde – Sharmahd ist tot, hingerichtet im Iran, genaue Umstände bislang unbekannt. Vermutet wird eine nicht-öffentliche Hinrichtung im berüchtigten Evin-Gefängnis, das hoch über der Millionenstadt Teheran thront.
Der 1955 in Teheran geborene Sharmahd hinterlässt insbesondere seine bis zu seinem Ableben um ihn kämpfende Tochter Gazelle – diese erhebt schwerwiegende Vorwürfe. Sie klagt nach Informationen des MDR acht hochrangige Minister der iranischen Theokratie an. Die Vorwürfe wiegen schwer: Missbrauch, Folter, Entführung, Mord. Bisher jedoch ohne Aussicht auf Erfolg.
Jeder Tote ist einer zu viel
Keine 20 Stunden, nach dem Öffentlichwerden des Mordes meldetet sich die deutsche Außenministerin – Annalena Baerbock – aus New York zu Wort: neben Mitgefühl für die Familie gab es sogleich die passende, geopolitische Analyse für die Vorgänge in Teheran serviert.
Die Ermordung zeige, so Baerbock, im schriftlichen Statement die "furchtbare Ruchlosigkeit des Unrechtsregimes in Iran" sowie dass der Iran "vorallem die Sprache der Erpressung, der Drohung und der Gewalt" spreche.
Um es vorwegzunehmen: keine geopolitische Scharade rechtfertigt das Agieren von Teheran – Jamshid Sharmahd starb zu Unrecht und sein Tod ist Wasser auf die Mühlen, derer die im Iran eine Bedrohung sehen, die Aktion wird gerade zum Bumerang für Teheran. Doch wird auch die westliche Reaktion keine Besserung bringen.
Berliner Definitionen
Jedoch gibt es mehrere Ebenen, die im Berliner Unrechtsempfinden und Definitionen-Wirrwarr keine Erwähnung finden: zum Ersten, nach geltendem iranischem Recht gibt es keine Menschen mit einer doppelten Staatsangehörigkeit, dies ist – den Allermeisten – Auslandsiranern absolut bewusst. Es gilt für Wehrdienst, Steuerpflicht und Einreiseangelegenheiten – so eben auch für die juristische Zuständigkeit.
Dass Sharmaahd durch den im Westen aktiven iranischen Geheimdienst gekidnappet wurde, steht dabei auf einem anderen Blatt. Im juristischen Terminus des Gottesstaates gilt der Hingerichtete daher keineswegs als Deutsch-Iraner – eine Solidarisierung aus dem Westen wurde und musste als Einmischung in die inneren Angelegenheiten wahrgenommen werden (damit sei nicht gesagt, dass diese falsch waren oder unterbleiben hätten sollen).
Außenminister Abbas fasste auf X die herrschende Regierungsmeinung zusammen: "Ein deutscher Pass bietet niemanden Straffreiheit."
Zum Zweiten sind die westlichen Medienberichte seltsam schweigsam, wenn es um den Grund für den Prozess geht. Laut iranischen Medien wird Sharmahd Mitgliedschaft und aktive Unterstützung der Exil-Opposition "Tondar" (deutsch: Donner) vorgeworfen – der Medienunternehmer soll deren Website aufgesetzt haben, deren Radioshow moderiert haben.
Ihr erklärtes Ziel ist die Rückkehr des Schahs und damit das Ende der Herrschaft des Klerus – die bekanntesten Zentren der Opposition mit der Löwenfahne sind London und die USA. Auch in Deutschland drohen drakonische Strafen – wenn natürlich auch nicht die Todesstrafe. Der Haken an der Geschichte: Tondar hat sich mehrfach zu Terroranschlägen gegen den Iran und seine Zivilbevölkerung bekannt.
Zuletzt zu einem Anschlag mit 14 Toten im Jahr 2008. Wenn Baerbock von Terrorismus spricht, meint sie sicher nicht den der iranischen Exil-Opposition. Auch wenn die Opfer unschuldige iranische Zivilisten sind.
Ein König ist keine Option
Zum Letzten, das iranische Regime wollte und versucht mit der Hinrichtung von den massiven israelischen Angriffen und den geopolitischen Verlusten rund um die nahezu-Ausschaltung der Führung der Hisbollah innenpolitisch abzulenken.
Es sendet gleichsam ein Zeichen an innere wie äußere Feinde – frei dem Motto: "Wer gegen uns ist, wird vernichtet". Noch beherrscht die Angst die iranische Gesellschaft. Daraus jedoch abzuleiten, wie es im "Westen" gerne getan wird, ein neuer König oder gar der ins Exil geflohene heute 63-jährige Sohn Reza Pahlavi wäre eine reale Alternative und stelle eine geeinte Opposition im Inneren dar, ist einigermaßen absurd.
Tief verankert in der iranischen Gesellschaft sind Schiismus und eine Ablehnung der despotischen, prunkvollen Herrschaft des selbsternannten "König der Könige". Insbesondere die junge Generation der "Jin Jiyan Azadi" Protestierenden – der Iran besitzt einen Altersmedian zwischen 28 und 31 Jahren in der Gesellschaft – kann mit dem Ruf nach einem König wenig anfangen.
Wirkliche und standhafte Demokratie kann nur gegen und nicht mit einer teil-terroristisch und rückwärtsgewandten monarchistischen Exil-Opposition erkämpft werden.
Eiszeit-Reaktion und mögliche Folgen
Unerwartet hart fiel die Reaktion aus Berlin aus. 32 iranische Konsularbeamte müssen Deutschland verlassen – mit Ausnahme der Botschaft in Berlin sind die drei Konsulate der iranischen Republik geschlossen worden.
Was dies für hunderttausend Iraner in Deutschland bedeutet, kann bisher nur grob beziffert werden. Der deutsche Botschafter hat den Iran verlassen – die deutsche Europapolitik will sich in Brüssel stärker dafür einsetzen, dass die iranischen Revolutionsgarden (wie schon in den USA) auf die Terrorliste gesetzt werden.
Geht es dabei wirklich um den ermordeten Jamshid Sharmahd? Es beschleicht das Gefühl, dass es hierbei wiederholt, um geopolitische Aspekte geht und somit weniger um das entsetzliche Schicksal einer Einzelperson.
Der Iran gilt als letzter, ernst zu nehmender Gegenspieler einer israelischen Aggression im Nahen Osten – als Spritus Rector einer "Widerstandsachse" vom Jemen bis in den Irak. Die diplomatische Eiszeit, welche sich nun ankündigt, ist weder ohne historische Vorgeschichte noch könnte sie folgenlos bleiben.
Generell gilt, will man einen regionalen oder überregionalen Flächenbrand wirksam bekämpfen, ist Diplomatie erste Politikerpflicht – das Gegenteil sind Ausweisungen, Schließungen und sprachliche Drohungen.
Dies hat Tradition: nahezu alle diplomatischen Kanäle sind nach dem einseitigen US-Ende des Atomabkommen (Jcpoa) zusammengebrochen, selbst die deutsche Schule in Teheran (Dbst, eine kulturelle Institution und ein Tor zu westlicher Bildung) musste im Wahn "feministischer Außenpolitik" und den Folgen der Proteste schließen.
Dieser diplomatische Offenbarungseid könnte der Anfang einer massiven Eskalation, welcher sich mit den israelischen Raketen-Angriffen auf Teheran und Umgebung angekündigt hat, sein.
Deutschland und seine Firmen besitzen im Iran, in der Politik wie in der iranischen Gesellschaft, hohes Ansehen. Anstatt ihre Schwungmasse progressiv zu nutzen, stutzt die deutsche Außenpolitik Gesprächskanäle zurecht und blockiert somit Verhandlungen um ein mögliches Ende aller Aggressionen im Nahen Osten.