Nach Assads Sturz: Teherans verlorenes Puzzle im Nahen Osten
Der Machtverlust in Syrien trifft den Iran ins Mark. Mit Assad verliert Teheran seinen wichtigsten Verbündeten in der Region. Was niemand für möglich hielt: Die Achse des Widerstands zerbricht.
Als General Quassem Suleimani auf irakischem Boden von den USA per Drohne ermordet wurde, schwor seine Tochter Seinab Soleimani Rache.
Der Vater, der auf dem Weg zu Friedensgesprächen mit Saudi-Arabien aus dem Leben gerissen wurde, war die graue Eminenz (wie Suleimani in einem gleichnamigen Dokumentarfilm von 2021 getauft wurde) der "Achse des Widerstands". Es werde ein schwarzer Tag für die USA kommen, so die Aussagen der Tochter bei der pompös inszenierten Trauerfeier.
Nicht wenige rechneten mit einer Reaktion der iranischen Proxy-Verbündeten in der Region. Sie blieb aus. Der Iran blieb defensiv, fast zögerlich – direkte militärische Hilfe gab es bis heute kaum.
Fünf Jahre später hat sich die geopolitische Landkarte der iranischen "Vorwärtsverteidigung" grundlegend verändert, die einstigen Gegenkräfte zum "großen und kleinen Satan" (Israel und USA) sind nahezu pulverisiert. Doch welche Auswirkungen hat dies?
Gaza als Nukleus eines neuen regionalen Ordnungskrieges
Es muss den Herrschenden in Teheran kalt über den Rücken gelaufen sein, als sie die Stellungnahme (in deutscher Übersetzung hier nachzulesen) der sunnitischen Hamas zu den Vorgängen in Syrien lasen.
Ob sie mit der iranischen Führung abgestimmt war, darf angesichts des Wortlauts bezweifelt werden. Die Hamas, derzeit von der israelischen Besatzungsmacht schwer bedrängt, gratulierte dem syrischen Brudervolk zum Erfolg und zur Niederringung des seit fünf Jahrzehnten herrschenden Assad-Clans.
Dass mit dem syrischen Machthaber der treueste und einzige Staatschef der iranisch geführten Achse unter die Räuber gefallen ist, scheint man in den Ruinen von Gaza oder in der katarischen Medienabteilung der palästinensischen Widerstandsbewegung vergessen zu haben.
Zwar beeilte sich die Hamas zu betonen, die territoriale Integrität Syriens müsse gewahrt bleiben, doch ihre Erklärung unterschied sich meilenweit von den Verlautbarungen des Palästinensisch-Islamischen Dschihad (PIJ) oder sogar von Mahmud Abbas.
In einer Analyse der Jerusalem Post liegt ein Schlüsselelement begraben: Die Hamas hatte Assad schon auf dem Höhepunkt des "syrischen Bürgerkriegs" heftig kritisiert, doch Hamas-Führer Sinwar gelang es, wohl unter dem Eindruck des geplanten Waffengangs vom 7. Oktober, die Wogen zu glätten und die Reihen zu schließen.
Allerdings: Sinwar wurde von der IDF ausgeschaltet, die Hamas scheint derzeit bemüht, ihre Fühler nach den neuen Machthabern in der Damaszener Ommayden-Moschee auszustrecken.
Neue Feinde?
Auch wenn sich die HTS-Herrschaft in erster Linie in Richtung einer Taliban-Herrschaft in Afghanistan entwickeln sollte, ändert dies wenig an der ursprünglichen Quelle. Als syrischer Ableger von al-Qaida entstanden, liegt eine ideologische Nähe zum schiitischen Iran fern – auch wenn sich Iran und al-Qaida während des Afghanistankrieges zeitweise tolerierten.
Mit dem Kampf gegen den Assad-Staat wandte sich die zu einer nationalstaatlichen Organisation tendierende Koalition al-Jaulanis objektiv gegen den Iran und seine Interessen. Darüber hinaus stärkt der Sieg der syrischen Dschihadisten vor allem Israel, die USA und die Türkei. Insbesondere der israelische Expansionismus auf Damaskus kann in Teheran nicht ignoriert werden.
Die Ungewissheit, ob sich die Islamisten in Nadelstreifen tatsächlich einer radikalen ideologischen Wende unterzogen haben, lässt viele Fragen offen. Die Gefahr eines aufkeimenden Islamischen Staates oder die aufflammenden Milizenkriege in Syrien dürften die Sorgenfalten in Teheran nicht glätten.
Mit Spannung erwartet wurde die Rede des Revolutionsführers Khamenei ganze vier Tage nach dem Sturz Assads – er sprach von einem "genetischen Wandel", den die HTS durchlaufen habe.
Teheran versucht also, den nicht vorhandenen Gesprächs- und Diplomatiekanal zu öffnen. Eine erstaunliche Deeskalations- und Konfliktvermeidungsstrategie des im Westen als unberechenbarer Aggressor verschrienen Landes.
Schicksalsgemeinschaft Russland-Iran
Mit Russland verbindet den Iran eine tiefe politische und diplomatische Freundschaft. Auch in Syrien bilden die beiden Staaten eine unfreiwillige Schicksalsgemeinschaft.
Während die russischen Stützpunkte sukzessive aufgegeben werden könnten, erklärte der Kommandeur der Revolutionsgarden, General Salami, am 10. Dezember, dass alle iranischen Truppen und bis zu 4.000 iranische Zivilisten aus Syrien evakuiert worden seien.
Damit ist der Iran zum ersten Mal seit 2011 kein direkter Akteur mehr in Syrien: Ein herber Rückschlag für Teheran. Hinzu kommt, dass mit der Eroberung der Verkehrsknotenpunkte Aleppo, Hama und Damaskus der Landweg der Widerstandsachse und eine Verbindungsroute für Waffen, Geld und Material in Richtung Libanon und Gaza abgeschnitten ist.
Was diese Entwicklung für die dem Iran nahestehenden schiitischen Milizen im Irak oder gar für die Ansharollah-Kämpfer im Jemen bedeutet, kann derzeit nur vermutet werden. Sicher scheint, dass sich die militärische Dominanz massiv zuungunsten des Iran und seiner Verbündeten verschoben hat.
Ein spannendes Detail ließ Khamenei in seiner Rede jedoch durchblicken: Er deutete an, dass die syrische Jugend, ähnlich wie die irakische Jugend, mit Hilfe (!) in den Widerstand gegen die neuen Machthaber und die ausländischen Besatzungsmächte gehen könnte.
Worte über die Zukunft
Khamenei warf in seiner Rede eine wichtige Frage auf: Wie die Tehran Times berichtet, hat der iranische Geheimdienst Assad "Monate im Voraus" glasklare Warnungen gegeben. Warum dieser nicht reagierte oder reagieren konnte, bleibt vorerst ungeklärt.
Statt zu kämpfen, warfen seine Soldaten eifrig ihre Uniformen in den Staub. Sold hatten sie seit Monaten nur spärlich gesehen. Auch wenn iranische Milizionäre anwesend gewesen seien, so Khamenei, sei dem Widerstand durch die massenhafte Desertion das Rückgrat gebrochen worden.
Insgesamt führte Khamenei die Ereignisse in Syrien auf eine Verschwörung der USA und Israels zurück.
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Interessant ist hierbei, dass die Türkei nur indirekt angesprochen wurde, nebulös ist von einem "beteiligten Nachbarland" die Rede: (dies kann nur die Türkei sein, da Israel mehrfach direkt genannt wird). Derzeit sind China, Russland und der Iran die größten Handelspartner Syriens. Doch die Türkei drängt auf den Markt, in Istanbul erreichten die Bauaktien neue Höchststände.
Eines ist sicher: Teheran ist veranlasst, seine Militärstrategie gründlich zu überdenken. Mit dem Tod Sinwars, dem Abgesang Nasrallahs und der Flucht Assads ist der beschworene Feuerring um Israel zum Streichholz geworden.
Die jemenitischen und irakischen Kräfte sind weit weniger schlagkräftig und im Falle des Jemen ungleich weniger an den Iran gebunden. Es ist zu befürchten, dass das Land entlang ethnischer Grenzen geteilt wird – für Iran bliebe kein Platz.
Quo vadis Iran?
Mit Israel und den USA gehen zwei Erzfeinde als Sieger vom Platz, nachdem es lange nach einem iranisch-russischen Patt mit dem Westen aussah. Für den Iran wird es darauf ankommen, die Kontakte nach Syrien differenziert zu nutzen: einerseits diplomatische Verbindungen zu HTS aufzubauen, andererseits den Widerstand zu schüren.
Ein Balanceakt mit ungewissem Ausgang. Die Vorwärtsverteidigung wird auf diese Weise deutlich an Relevanz verlieren, was die Gefahr einer Verstetigung des iranischen Atomprojekts maximal erhöht.
Konservative Hardliner in der Madjlis fordern dies seit Jahren. Mit dem von Trump zu erwartenden Rückenwind für die israelische Regierung könnten alle Hürden für einen Big-Bang fallen. Auf der Ebene der Weltordnung stellt die Niederlage in Syrien, sieht man von der Türkei ab, eine Reinszenierung der unipolaren Weltordnung dar.
Nicht zu übersehen ist, dass der Iran mit neuen und noch drakonischeren wirtschaftlichen Restriktionen rechnen muss. Vorsorglich, um Protesten die Grundlage zu entziehen, wurde eine umstrittene Kopftuchentscheidung im iranischen Parlament auf unbestimmte Zeit vertagt. Derart dünn war die Luft für Teheran selbst nach über 40 Jahren "Islamischer Revolution" außenpolitisch nie.