"Finger in die richtige Wunde gelegt"
Der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Nešković verlässt die Linksfraktion und will im nächsten Jahr als unabhängiger Direktkandidat in den Bundestag einziehen
2005 zog der parteilose BGH-Richter Wolfgang Nešković auf einer offenen Landesliste der Linkspartei in den Bundestag ein. Dort galt er bald als einer der fleißigsten Abgeordneten und war nicht nur federführend an abgelehnten Gesetzentwürfen zur Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips, zur Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung, zur Einführung eines Lobbyistenregisters, zu Hartz-IV-Sanktionen und zur Begrenzung staatlicher Überwachung beteiligt, sondern konnte aufgrund seiner fachlichen Kompetenz trotz seiner Mitgliedschaft in der Linksfraktion auch Gesetze wie das zur Reform der parlamentarischen Kontrolle der Nachrichtendienste beeinflussen. Auch der überfraktionelle Entwurf zum Verbot der Knabenbeschneidung stammt von ihm.
Gestern machte Nešković auf seiner Website bekannt, dass er die Linksfraktion verlässt. Als Grund dafür nennt er "unredliche Mittel" mit denen man ihn bekämpft, weil er seine Aufgabe als Mitglied der Legislative ernst nahm und nicht nur die schwarz-gelbe Bundesregierung, sondern auch die rot-rote Landesregierung in Brandenburg an ihre Wahlversprechen erinnerte. Konkreteres zu den Mitteln und zu Personen wollte er auch auf Nachfrage nicht sagen. Bereits 2009 hatten bei der Wahl zum Parlamentarischen Kontrollgremium für Geheimdienste nicht alle Mitglieder der Linken-Fraktion für ihn gestimmt und so einen zweiten Anlauf notwendig gemacht.
In seiner Austrittserklärung kritisiert Nešković auch die Parteienpolitik an sich, deren Wesensmerkmale "Täuschung" und "hierarchische Strukturen" seien. Deshalb will er in der nächsten Legislaturperiode als unabhängiger Direktkandidat in den Bundestag einziehen. Mit diesem Vorhaben ist Nešković deshalb nicht chancenlos, weil er 2009 nicht mehr über die brandenburgische Linken-Liste in den Bundestag einzog, sondern überraschend das Direktmandat im Wahlkreis Cottbus/Spree-Neiße errang. In anderen Ländern gelingt es aus ihrer Partei ausgetretenen Mandatsträgern regelmäßig, Wahlkreise als Unabhängige zu halten, wenn sie den Wählern vermitteln können, dass der Grund für das Zerwürfnis auch darin liegt, dass der Kandidat die Interessen aller Bürger vor die seiner politischen Gruppierung stellt.
Auch Nešković erinnert in seiner an die Bürger in der Lausitz gerichteten Erklärung daran, dass er sich als Bundestagsabgeordneter an seinen Wahlversprechen und nicht an "nach den Wahlen eingeschlagenen Partei- und Regierungslinien" orientierte. Für ihn, so der ehemalige Bundesrichter wörtlich, "zählt keine Hierarchie der Parteistrukturen, sondern nur eine Hierarchie der Argumente". Und: "Die Gegenwehr, die ich hierfür aus den eigenen Reihen erfahren musste, die Unwahrheiten und Intrigen, die deswegen gegen mich erfolgten und noch immer erfolgen, bestärken mich darin, den Finger in die richtige Wunde gelegt zu haben."