Hausbesuch oder Streichung der Miete
Eingriff in Privatsphäre von Hartz IV-Beziehern bei anonymer Denunziation
"Bestehen begründete Zweifel an der tatsächlichen Nutzung einer Wohnung durch einen Leistungsempfänger nach dem SGB II ("Hartz IV"), ist das Jobcenter zur Überprüfung der Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen für Unterkunft und Heizung berechtigt, die tatsächliche Nutzung durch Inaugenscheinnahme der Wohnung (Hausbesuch) zu überprüfen."
Das ist die zentrale Aussage eines Beschlusses des Landessozialgerichts Rheinland Pfalz, der am 1. Oktober bekannt gegeben wurde. Die Duldung des Hausbesuchs könne zwar nicht mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden, heißt es in dem Urteil leicht zynisch. Denn gleichzeitig gibt er dem Jobcenter die Handhabe, die Heizkosten und die Miete zu streichen. Das ist aber ist für Hartz IV-Empfänger natürlich ein sehr wirkungsvolles Zwangsmittel, weil sie zu Mietschulden und Räumungen führen kann.
Was sind begründete Zweifel?
Dass mit der Entscheidung den Jobcentern eine weitere Handhabe gegen Erwerbslose gegeben wird, zeigt sich schon bei der Formulierung der "begründeten Zweifel" an der tatsächlichen Nutzung der Wohnung.
Im konkreten Fall bekam ein Jobcenter im nördlichen Rheinland-Pfalz einen anonymen Hinweis, dass die 64-jährige Hartz IV-Bezieherin bei ihrer Tochter wohnt und die Wohnung, die sie seit 40 Jahren gemietet hat, nicht mehr regelmäßig bewohnt. Darauf verlangte das Jobcenter, die Frau solle Sozialdetektiven Zugang zu der Wohnung ermöglichen. Das lehnte sie aber ab, weil sie nicht einsah, dass sie auf einen anonymen Hinweis die Verletzung ihrer Privatsphäre zulassen soll. Dabei hat die Frau auch Angaben zu ihren Wohnverhältnissen nicht verweigert, sondern mit Fotos und einer eidesstattlichen Versicherung kund getan, dass sie die Wohnung nutzt und dort recht spartanisch lebt.
Trotzdem entschied das Gericht nun, dass sie bis zur Klärung des Sachverhalts die Kosten für Miete und Heizung selber tragen muss. Damit reicht ein anonymer Hinweis aus und die Denunzierte muss einenVerdacht entkräften, der von ihr unbekannten Menschen, die sich nicht einmal zu erkennen geben müssen, erhoben wird. Das gibt natürlich Menschen Gelegenheit, ihnen missliebige Nachbarn und Kollegen mit Vorwürfen zu überziehen, wie es eine Hartz IV-kritische Seite mit einem Foto gut dokumentierte.
Zudem stellt sich auch die Frage, warum die Frau nicht, selbst wenn sie zeitweise bei ihrer Tochter wohnen sollte, ihre Wohnung behalten kann. Schließlich ist es ja möglich, dass das gemeinsame Wohnen von mehreren Generationen unter einem Dach an Grenzen stößt. Für Hartz IV-Empfänger ist es in einem solchen Fall aber viel schwerer, erneut eine eigene Wohnung zu mieten, wenn sie diese erst einmal aufgegeben. Überdies steigt die Miete bei Neuvermietungen.
Die Möglichkeit, die eigene Wohnung eben zur Sicherheit zu behalten, wird durch dieses Urteil infrage gestellt. Dabei handelt es sich um eine Einzimmerwohnung mit einem Mietpreis von monatlich 278 Euro mit Nebenkosten im Jahr 2014. Die Wohnung lag also in dem Bereich,
den das Jobcenter für die Kosten der Unterkunft bei Hartz IV-Empfängern zubilligt. Der geringe Stromverkauf wurde nun nicht etwas als vorbildliches sparsames Wirtschaften gewertet, sondern als Indiz herangezogen, dass die Frau die Wohnung nicht mehr bewohnt. Das Gericht urteilte auch gegen Entscheidungen des Sozialgerichts Koblenz, das das Jobcenter zu Mietzahlungen an die Frau verpflichtet hatte.
Die untere Instanz ging "unter Berücksichtigung des von der Antragstellerin vorgelegten Fotomaterials sowie der Erklärungen im Erörterungstermin am 11.6.2014 davon aus, dass die Wohnung von der Antragstellerin tatsächlich genutzt werde. Die Wohnung sei ausweislich des Fotomaterials zwar sehr spartanisch eingerichtet und es sei auch kein normales Bett vorhanden. Der sehr geringe Stromverbrauch von jährlich 116 kWh (monatliche Kosten von € 10,92) sei angesichts des Durchschnittswerts von 1.798 kWh (Hinweis auf http://www.musterhaushalt.de/durchschnitt/stromverbrauch/) zwar ungewöhnlich, erweise sich aber angesichts des für den Regelsatz relevanten Verbrauchs eines Ein-Personen-Haushalts für Wohnen, Energie und Wohnungsinstandhaltung von monatlich € 32,68 bei sparsamer Verhaltensweise als vertretbar. Letztendlich hätten auch der persönliche Eindruck der Antragstellerin und die schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen der Antragstellerin und derer Tochter die tatsächliche Nutzung im erforderlichen Maß bestätigt. Der Antragsgegner sei daher ab Antragstellung bei Gericht zur Leistung zu verpflichten."
Doch die höhere Instanz urteilte nun im Zweifel gegen die Hartz IV-Empfängerin und ging auf die vom Sozialgericht aufgeführten Sachverhalte zu Gunsten der Mieterin gar nicht ein. Bestätigt wurde so einmal mehr, dass die Privatsphäre für Bezieher von Hartz IV angreifbar ist.