Hunderttausende empören sich in Spanien
In 80 Städten wurde demonstriert und die Polizei löste friedliche Versammlungen auf
Die "ohne Job, ohne Wohnung, ohne Pension und ohne Angst" haben zum Jahrestag der Empörten-Bewegung in Spanien ihre Proteste wieder massiv aufleben lassen. Auf der wohl größten Demonstration der "Indignados" am Samstag demonstrierten in der katalanischen Metropole Barcelona wohl mehr Menschen als vor einem Jahr im ganzen Land.
Zwar gehen die Zahlen wie immer deutlich auseinander, doch auch die katalanische Polizei spricht von 45.000 Teilnehmern, während die Veranstalter von etwa 200.000 Menschen ausgehen. Das spanische Innenministerium setzt die Zahl dagegen abwegig auf 22.000 herunter.
Besonders zahlreich war die Beteiligung auch in der Hauptstadt Madrid. Vier Demonstrationszüge hatten sich aus den Stadtteilen zum zentralen Platz im Zentrum bewegt. Es handelt sich um den "Puerta del Sol". Er ist das Wahrzeichen der Bewegung, den die Empörten liebevoll nur "Sol" (Sonne) nennen. Hier sei vor einem Jahr die Sonne aufgegangen, als die Menschen nach der Demonstration ihren Unmut nicht vereinzelt mit nach Hause nehmen wollten. Sie wollten ihre geballte Empörung über die Zustände, ähnlich wie in Tunesien oder Ägypten zuvor, dauerhaft ausdrücken und blieben schlicht auf dem Sol. ( "Was soll man von solchen Politikern erwarten?"). Das Beispiel machte schnell im ganzen Land und weit darüber hinaus Schule.
Deshalb hatte die neue rechte Regierung unter Mariano Rajoy schon im Vorfeld angekündigt, keine Protestlager zu dulden Genehmigt hatte sie Versammlungen nur bis 22 Uhr. Wie absurd das war, zeigte sich in Madrid. Als die Genehmigung ablief, strömten noch immer Demonstranten aus einem der Züge auf den überfüllten Platz. Während die Polizei von 35.000 Teilnehmern spricht, das Innenministerium von 30.000, gehen die Veranstalter davon aus, dass gut 100.000 Menschen erneut ihre Empörung ausgedrückt haben.
Um 24 Uhr verstummte der Sol zu einem "Schrei des Schweigens". Damit hatte man sich schon im vergangenen Jahr über ein Versammlungsverbot am Tag vor den Regionalwahlen hinweggesetzt und war weiter auf den Plätzen geblieben, um gegen die "Zweiparteiendiktatur" der damals regierenden Sozialisten (PSOE) und der nun regierenden Volkspartei (PP) zu protestieren. Weiter machen die Indignados die "PPSOE" für die fatale Lage im Land verantwortlich, das immer tiefer abstürzt.
Eine gigantische Krise hat die Arbeitslosenquote nun auf über 24% anschwellen lassen. Die PP-Regierung streicht nun auch das Bildungs- und Gesundheitswesen zusammen und erhöht massiv die Steuern, um Banken retten und die steigende Zinslast bezahlen zu können. Der Erfüllung der Defizitziele kommt sie dabei aber nicht wirklich näher, musste sogar die EU-Kommission gerade zugeben.
Die Regierung mit ihren autoritären Zügen hat in den Morgenstunden tatsächlich einige Protestversammlungen auflösen lassen, obwohl wie in Madrid meist keine Camps errichtet wurden. Die Empörten hatten einen Dauerprotest über 96 Stunden bis zum Jahrestag am 15. Mai angekündigt. In Madrid hatten gegen 5 Uhr Aufstandsbekämpfungseinheiten der Polizei damit begonnen, den friedlichen Protest aufzulösen. Das geschah innerhalb von etwa zehn Minuten, weil den Beamten nur auf passiven Widerstand der etwa 500 Versammelten stießen. Trotz allem sprechen die Bilder für sich und man versteht, warum es dabei auch Verletzte gab.
"Keine Gewalt, keine Gewalt", wurde in Sprechchören der Polizei zugerufen. "Das sind unsere Waffen", riefen die Indignados und streckten ihre Hände in die Luft. Insgesamt wurden 18 Personen verhaftet und bei 200 wurden die Personalien festgestellt. Hätte die Regierung ihre geplante Strafrechtsverschärfung schon verabschiedet, könnten sie nun schon dafür zu Haftstrafen von mehr als zwei Jahren verurteilt werden. Schließlich blieb der Platz von der Polizei besetzt, die sogar die Metro-Station bis 10 Uhr schließen ließ, um zu verhindern, dass die Empörten wieder auf den Platz strömen.
Schon zuvor waren Versammlungen in Palma de Mallorca und Valencia von der Polizei aufgelöst worden. Abgeräumt wurden aber auch die Proteste in den andalusischen Städten Sevilla und Cadiz, während im andalusischen Granada etwa 100 Menschen auf dem zentralen Platz übernachtet haben. Schon damit ist die Angabe des Innenministeriums widerlegt. In einer Presserklärung heißt es, es sei zu keinen "Störungen und Camps in den Städten gekommen, die unter der Kontrolle der Sicherheitskräfte des Staates stehen".
Ausgenommen hiervon sind nämlich nur die Autonomieregionen Katalonien und das Baskenland, die über die entsprechenden Kompetenzen verfügen. In Barcelona blieben trotz des Regens auch etwa 100 Menschen auf dem zentralen Platz. Die Empörten werden sich mit dem Vorgehen der Polizei nicht abfinden.
Für heute um 17 Uhr wird über die sozialen Netzwerke zu neuen Protesten im ganzen Land aufgerufen: "Um fünf sind wir zurück", lautet die knappe Nachricht. Mit den Räumungen könnte die Regierung einen zentralen Fehler wiederholt haben, den die sozialdemokratischen Vorgänger schon im vergangenen Jahr machten. Durch die versuchten Räumungen der Plätze zu Beginn der Proteste wurden sie erst richtig groß. Ganz besonders galt das in Barcelona, als der Platz im vergangenen Jahr brutal räumte. Viel mehr Menschen strömten aus Empörung über die Räumung schließlich auf den Platz zurück.