IS überrennt FSA und Al-Nusra Front in Nordsyrien bei Azaz

Spannungen zwischen den USA und der Türkei

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Während die syrische demokratische Armee (SDF) von Rojava gemeinsam mit US-Spezialkräften gegen den Hauptstützpunkt des IS in Raqqa unaufhörlich vorrückt, gab es am Freitag einen überraschenden Angriff des IS bei Azaz, nördlich von Aleppo, nur wenige Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, der zehntausende Zivilisten zur Flucht trieb.

Menschenrechtsgruppen und Aktivisten vor Ort berichteten, dass mindestens 100.000 Menschen in der Provinz Aleppo entlang der Grenze zur Türkei eingeschlossen sind, nachdem der IS einige Dörfer im Gebiet erobert hat, das von der Freien syrischen Armee (FSA), der Al-Nusra-Front und anderen islamistischen Rebellen kontrolliert wird. Die IS-Milizen unterbrachen dabei eine wichtige Verbindungsstraße zwischen den von den islamistischen Rebellengruppen besetzten Städten Azaz und Marea. Die dortige Bevölkerung und vor allem die an der Grenze zur Türkei ausharrenden Flüchtlinge befürchten nun, vom IS verschleppt oder ermordet zu werden.

Ein Krankenhaus der Organisation Ärzte ohne Grenzen in Salama, einer Stadt, die nur 3 Kilometer von der Frontlinie entfernt ist, wurde evakuiert. Pablo Marco, ein Manager von Ärzte ohne Grenzen, berichtet über wilde Flüchtlingslager, von denen aus syrische Flüchtlinge seit Monaten vergeblich versuchen, über die türkische Grenze zu kommen. Diese Menschen haben keine Fluchtmöglichkeit, sie sind zwischen der türkischen Grenze und der Frontlinie eingeschlossen. Gerry Simpson von Human Rights Watch bezifferte die Eingeschlossen auf mehr als 165.000 Menschen.

2012 eroberten die Milizen die Städte Azaz und Marea. Dies war für sie ein wichtiger Versorgungsweg aus der Türkei für islamistische Kämpfer und Waffen. Seit Monaten versuchte der IS diesen Versorgungsweg in seine Hände zu bekommen, nachdem die Einheiten des SDF aus Rojava den IS-Milizen wichtige andere Versorgungswege wie z.B. Tal Abyad abgeschnitten haben.

Die Lage in der Region rund um den Kanton Afrin und Aleppo ist undurchsichtig. Verschiedene Rebellengruppen und auch untereinander konkurrierende dschihadistische und islamistische Milizen, der IS, kurdische Einheiten und die syrische Armee kämpfen dort um Territorien und Einfluss. Die syrische Armee soll ebenfalls am Freitag Gebiete in der Provinz Aleppo bombardiert haben, wobei mindestens 15 Menschen starben. In einem östlichen Viertel von Aleppo-Stadt wurden angeblich zwei Zivilisten durch eine Fassbombe getötet. In der Stadt Hreitan wurden durch syrische Luftangriffe neun Menschen getötet, in Kfar Hamra starben vier Zivilisten.

Der Angriff des IS geschah zeitgleich zur SDF-Offensive auf Raqqa und der von den USA angeführten Koalition gegen den IS auf Falludscha im Irak. Die eingeschlossenen Zivilisten wandten sich nun mit einem Hilferuf an die SDF aus Rojava, ihnen zur Hilfe zu kommen und sie zu beschützen. Dies birgt politischen Sprengstoff, denn die Türkei hat dieses Grenzgebiet zwischen Kobane und Afrin zur roten Linie erklärt. Die türkische Regierung drohte mit einer Militärintervention, sollten die SDF den Versuch unternehmen, den 75 km breiten Grenzbereich zwischen Kobane und Afrin unter ihre Kontrolle bringen zu wollen.

Wie sich die Türkei, die USA, Russland und die syrische Regierung nun dazu verhalten, ist ungewiss. Fakt ist, dass die Türkei immer wieder syrisches Territorium verletzt, Rojava von der türkischen Grenzseite aus beschießt. Der TV-Sender Al-Mayadeen berichtete, dass eine türkische Armeeeinheit in der Provinz Aleppo auf ca. 700 Meter in syrisches Gebiet einmarschiert sei und einen eigenen Kontrollpunkt errichtet hätte. Auch in Qamishlo soll das türkische Militär auf syrischem Boden eigene Befestigungsanlagen bauen, berichtet sputnik.news.

Offiziell bestätigt wurde dies allerdings nicht. Es ist schwer, überprüfbare Informationen zu bekommen. Die türkischen Medien sind gleichgeschalten und berichten, was Erdogan vorgibt.

Derweil scheint die Offensive gegen Raqqa erfolgreich zu verlaufen. Wie bekannt wurde, begleiten amerikanische Spezialeinheiten SDF-Einheiten am Boden. Die kritische Zeitung Cumhurriyet veröffentlichte Bilder von US-Soldaten, die sich auf ihre Westen das Emblem der kurdischen YPG (Männer) oder der kurdischen YPJ (Frauen) - Einheiten aufgenäht hatten. Die türkische Regierung reagierte prompt: "Es ist inakzeptabel, dass US-Soldaten das Emblem einer Terrororganisation tragen", sagte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu.

Präsident Erdogan legte nach und verurteilte die Aktion scharf. Colonel Steve Warren, Sprecher der Operation Inherent Resolve (OIR), räumte hierauf ein, dass das Tragen der Embleme unangemessen gewesen sei.