Jurist oder Putschist?

Einladung eines Bundesrichters aus Brasilien sorgt für Ärger an der Uni Heidelberg. Nun haben die Verantwortlichen still und heimlich reagiert

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In Deutschland lebende Brasilianer und Gewerkschafter haben Proteste gegen den Vortrag eines Juristen aus Brasilien an der Universität Heidelberg am heuten Freitagabend angekündigt. Sie werfen dem Bundesrichter Sergio Moro vor, Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva aus einer politischen Motivation heraus beeinflusst zu haben. Auch soll Moro interne Informationen an Medien weitergegeben haben.

Während der Jurist an der Uni Heidelberg einen Vortrag über Korruption in Brasilien hält, läuft daher gegen ihn selbst ein Verfahren. Im Falle einer Verurteilung würde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen, zudem drohten ihm bis zu sechs Monate Haft. Das Max-Weber-Institut für Soziologie an der Uni Heidelberg kündigte Moro dessen ungeachtet als "Korruptionsbekämpfer" an.

Dabei soll der Jurist im Verfahren gegen Lula da Silva seine Kompetenzen erheblich überschritten haben. Moro wird beschuldigt, im vergangenen März ohne ausreichende rechtliche Grundlage den Ex-Präsidenten zu einem dreistündigen Verhör abgeführt sowie Hausdurchsuchungen in privaten und Arbeitsräumen der Familie da Silva angeordnet zu haben. Hierbei waren mehr als 200 Polizisten im Einsatz. Die vorübergehende Festnahme und das Verhör da Silvas seien "unverhältnismäßig und missbräuchlich" und daher unrechtmäßig gewesen, da er sich keiner richterlichen Vorladung zur Aussage im Korruptionsfall Fall Lava Jato um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras widersetzt hatte, so Lula da Silvas Anwälte.

In einem offenen Brief haben sich inzwischen gut zwei Dutzend Wissenschaftler aus Brasilien an Prof. Dr. Markus Pohlmann von der Uni Heidelberg gewandt, der den Brasilianer eingeladen hatte. "Moro verfolgt offenbar nur ein Ziel: den Ex-Präsidenten Lula da Silva festzunehmen", heißt es in dem Schreiben.

Die "illegale Zwangsvorführung" des ehemaligen Präsidenten werde derzeit von einem UN-Gremium untersucht. Mit der Veröffentlichung abgehörter Telefongespräche zwischen Lula und Präsidentin Rousseff wenige Stunden vor Lulas Ernennung zum Präsidialamtsminister sei Moro zudem politischen Motiven gefolgt. Die Veröffentlichung der Abhörprotokolle und das Senden dieser Gespräche an den rechtsgerichteten Fernsehsender Rede Globo TV "lassen keinen Zweifel an der Parteilichkeit des Bundesrichters". Moro habe von demselben Sender zudem Auszeichnungen erhalten und in seinem Nachrichtenmagazin offen politisch Stellung gegen die Regierungen von Lula da Silva und Rousseff bezogen.

Kritiker in Deutschland verwiesen indes darauf, dass der Jurist zwar gegen Mitglieder der linksgerichteten Arbeiterpartei von Lula da Silva und Moro vorgeht, nicht aber gegen Vertreter der Partei PSDB, die am Sturz Rousseffs beteiligt war. Von der PSDB sind die Politiker Aécio Neves, Antonio Anastasia, Fernando Henrique Cardoso, José Serra und Sergio Guerra (2014 verstorben) in den Korruptionsskandal verwickelt.

Auf Anfragen des Lateinamerika-Portals amerika21 verteidigte Pohlmann vom Max-Weber-Institut die Einladung Moros. Der brasilianische Jurist werde im Rahmen einer wissenschaftlichen Konferenz sprechen, auf der es sich um Korruption und Korruptionsbekämpfung dreht und unter anderem der Petrobras-Fall aus einer wissenschaftlichen Perspektive beleuchtet werde. "Da er als Bundesrichter mit dem Fall betraut war, wollen wir ihn als Experten dazu anhören", so Pohlmann.

Die Kritiker besänftigt das nicht. "Die verbreitete Korruption im Land muss aufgearbeitet und beendet werden. Dabei hat die Justiz neutral zu sein und nicht den Interessen der politischen Machthaber Vorschub zu leisten", heißt es seitens des Arbeitskreises Solidarität mit brasilianischen Gewerkschaften beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Mannheim. Moro gelte in Brasilien schlichtweg als ein PSDB-naher Bundesrichter, der eine politische Kampagne anführt.

Die Kritik scheint bei den Organisatoren der Veranstaltung durchaus Gehör zu finden, auch wenn sie öffentlich an der Einladung festhalten. Auf der Seite des Max-Weber-Instituts wird Sérgio Moro inzwischen nicht mehr als "einer der renommiertesten Korruptionsbekämpfer" vorgestellt, sondern als "ein umstrittener Korruptionsbekämpfer". Geändert wurde der Text am Mittwoch, einen Tag nach Publikation des offnen Briefes der brasilianischen Wissenschaftler.