Klimawandel: Siemens ignoriert Proteste
Konzern hält an Auftrag für australische Kohlegrube fest. Schüler protestieren weiter
Da scheint sich die Siemens AG und ihr Vorstands-Chef Josef Kaeser einen Mega-PR-GAU geleistet und zugleich einer ganzen Generation von Schülern zu einem Lernerfolg verholfen zu haben, den sie vermutlich in drei Jahren Staatsbürgerkunde in der Schule nicht hätten erreichen können. Erst den Einsichtigen und Gesprächsbereiten spielen und den Schülern gar einen Aufsichtsratsposten anbieten, und dann nicht einen Millimeter von den ursprünglichen Plänen abweichen.
Dabei geht es vordergründig nur um einen für Siemens ziemlich kleinen Auftrag im Umfang von etwa 20 Millionen Euro. Das Unternehmen soll für eine Kohlebahn einer geplanten neuen australischen Kohlengrube des indischen Konzerns Adani die Signalanlagen liefern.
Rund zehn Millionen Tonnen Kohle sollen aus dem neuen Tagebau im Jahr für den Export gefördert werden, der im Osten Australiens, etwa 300 Kilometer von der Küste entfernt entstehen soll, schreibt die britische Zeitung Guardian. Allein bei deren Verbrennung würden jährlich knapp 30 Millionen Tonnen CO2 entstehen. Das entspricht den jährlichen Emissionen von Ländern wie Dänemark oder Angola und ist mehr, als Bolivien oder Kambodscha emittieren.
Für die Mine wurden eigens Landrechte australischer Ureinwohner aufgehoben, schreibt der Guardian. Obwohl sich die Regierung auf deren Zustimmung berufe wurde zugleich Gruppen aus deren Reihen per Gerichtsbeschluss untersagt, auf dem strittigen Gelände ein Protest-Camp zu erreichten.
Die Botschaft von Siemens
Kaeser hatte sich am Freitag, wie berichtet, mit zwei Sprechern der Fridays-for-Future-Schüler – Luisa Neubauer und Nick Heubeck – getroffen. Nach dem Gespräch berichteten diese, Kaeser habe gemeint, er sei sich des Problems bewusst.
Am späten Sonntagnachmittag verkündet Joe Kaeser dann auf Twitter: "We need to fulfillour contractual obligation." Wir müssen den Vertrag erfüllen.
Das ist eine billige Ausrede. Natürlich kann der Konzern aussteigen und Vertragsstrafe zahlen. Doch die möchte Kaeser seinen Aktionären nicht zu muten. Deren monetäres Interesse wiegt für ihn schwerer, als jenes der jungen und künftigerer Generationen, die Pariser Klimaverträge einzuhalten und die globale Erwärmung auf "deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau", nach Möglichkeit bei 1,5 Grad, zu begrenzen.
Das Handelsblatt findet, das Kaeser das Bestmögliche aus der Lage gemacht habe. Indem er Neubauer einen Aufsichtsratsposten anbot, habe er den Schülern gezeigt, dass er sie ernst nimmt. Der Spiegel bezeichnet ihn dagegen als "Maulhelden" und kommt damit der Sichtweise der Schüler sicherlich näher.
Diese kündigten am Sonntagabend in mindestens elf Städten – darunter Aachen, Kiel, Erlangen, Freiburg, Hamburg und Kempten – spontane Proteste für den heitigen Montag an. Natürlich musste der autoritätshörige Teil der Presse, der sich offensichtlich nicht vorstellen kann, dass und wie Selbstorganisation funktioniert, diese Proteste sogleich sozusagen Luisa Neubauer unterschieben. Tatsächlich haben sich aber in den einzelnen Städten die Aktiven spontan verständigt.
(Der Merkur entblödete sich nicht, Neubauer in einer Überschrift zu unterstellen, sie würde gegen Siemens "wüten". Wundert sich da eigentlich noch jemand, dass die Presse kaum noch Leser unter den jungen Menschen findet?)
Siemens Botschaft an die Schüler lässt derweil an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: "Wir haben mit euch geredet, aber machen unbeirrt weiter wie geplant." Da kann man eigentlich nur hoffen, dass derlei Arroganz nicht junge Menschen in Verbitterung treibt.