Kluft zwischen Materialismus und Arbeitsmoral

US-Studie: Amerikanische Zwölftklässler sind zwar materialistischer als ihre Vorgängergeneration in den 1970er Jahren, aber auch weniger dazu bereit, "hart zu arbeiten"

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Aufforderungen zu mehr Leistungsbereitschaft wie etwa "Wir müssen uns alle mehr anstrengen, um aus der Krise zu kommen" oder Einsatz - "Erfolg ist das Resultat harter Arbeit" - werden von Werbebotschaften konterkariert, das ist der Kern einer amerikanischen Studie, die aktuell im Fachmagazin Personality and Social Psychology Bulletin veröffentlicht wird.

Zugrunde liegt ihr ein interessantes, weil einen größeren Zeitraum abdeckendes Datenmaterial - Antworten auf Fragen zu materialistischen Einstellungen, die 355.000 Zwölftklässler amerikanischer High-Schools von 1976 bis 2007 gegeben haben, also mehrere Schüler-Generationen - weswegen die Studie den für die Öffentlichkeit immer attraktiven Versuch unternimmt, Charakteristika der "heutigen Jugend" herauszustellen, wie das schon im Titel anklingt: Generational Changes in Materialism and Work Centrality, 1976-2007.

Anhand der des Untersuchungszeitraums fällt aber bereits ein Manko der Studie ins Auge: Es fehlen die Jahrgänge, welche die Highschool-Abschlussklassen zu Zeiten der Finanzkrise, ab 2008, besucht haben. Die Autoren, die Psychologen Jean Twenge und Tim Kasser (beide Buchauoren, die mit zugkräftigen Buchtiteln, "Generation Me" und "The High Price of Materialism”, auf dem Markt sind) geben sich aber überzeugt davon, dass die Erkenntnisse ihre Studie auch für die neuere Generation der Schulabgänger gültig sind. Denn, so ihre Behauptung, Jugendliche, die in Zeiten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Instabilität mit hoher Arbeitslosigkeit und wenig verlässlichen Familienstrukturen aufwachsen, tendieren mit größerer Wahrscheinlichkeit zu materialistischen Werten. Durch die Krise der letzten Jahre dürfte sich diese Tendenz weiter verstärkt haben, so ihre Ansicht.

Die Zunahme materialistischer Einstellungen, bzw. deren Fortbestehen auf hohem Niveau nach Gipfelwerten in den 1980er Jahren ist eine der beiden Erkenntnisse, welche Twenge und Kasser aus dem Datenmaterial ziehen.

"Der Materialismus stieg beträchtlich seit Mitte der 1970er, hatte seinen Höhepunkt unter Mitgliedern der Generation X. Danach ließ er etwas nach. Doch waren die Jugendlichen in den späten 2000er Jahren noch immer deutlich mehr an materialistischen Werten orientiert als die Jugend in den 1970ern, die man die Boomer-Generation nennt."

Um ihre Einstellungen zu erfassen, wurden die Schüler gebeten, Fragen dananch, wie wichtig ihnen der Besitz bestimmter Güter – z.B. Immobilien, Autos - oder "viel Geld" ist, mittels einer vierstufigen Skala (von "überhaupt nicht wichtig" bis "extrem wichtig") zu beantworten.

Fragen zur Arbeitsmoral

Interessant wird die Untersuchung dort, wo nach der Einstellung zur Arbeit gefragt wird. Hier haben die beiden Psychologen "beunruhigende Trends" gefunden, wie es in einer Besprechung der Studie heißt. Während sich nämlich materialistische Werthaltungen auf höherem Niveau hielten, nahm die Zustimmung zu Sätzen wie "Ich gehe davon aus, dass meine Arbeit eine zentraler Bereich meines Lebens sein wird" und "Ich werde mein Bestes in meinem Job geben, auch wenn das manchmal Überstunden bedeutet" im Lauf der verschiedenen Schülergenerationen der letzten 30 Jahre ab. Der Anteil derjenigen, welche die Arbeit als zentralen Teil ihres Lebens bewerten, sank von Dreiviertel auf weniger als Zweidrittel.

Das entspricht noch immer der weitaus größeren Mehrheit, aber es ist eine andere Zahl, die den Studienautoren zu denken gibt sowie Material für plakative Die-Jugend-von-heute-Überschriften - ( Today's Teens: More Materialistic, Less Willing to Work)- gibt. 39 Prozent der Zwölftklässer der Jahre 2005-07 gaben nämlich an, dass sie "nicht hart arbeiten wollen". In den Jahren 1976 bis 1978 waren das nur 25 Prozent. Der Trend sei unabhängig von Rasse, Geschlecht oder sozio-wirtschaftlichem Status konsistent.

Da Twenge und Kasser beobachtet hatten, dass materialitische Einstellungen der Jugendlichen mit dem Aufwand an Werbung, der zu bestimmten Zeiten stärker oder schwächer ausgeprägt ist, in Verbindung steht - "materialism was highest when advertising spending made up a greater percentage of the U.S. Economy", suchen sie die Antwort auf die nachlassende Arbeitsmoral auch in der Werbung.

"Unsere Studie legt nahe, dass Werbung eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des jugendlichen Materialismus spielt. Das könnte auch die Kluft zwischen dem Materialismus und der Arbeitsmoral erklären, weil Werbung in seltenen Fällen die Arbeit zeigt, die nötig ist, um das Geld zu verdienen, das man braucht, um die beworbenen Produkte zu kaufen." Jean Twenge

Unstrittig ist, dass sich diese Annahme mit der Kritik deckt, die beide Autoren schon seit längerem an Phänomenen der Konsumkultur üben, wobei sich Twenge auf narzisstische Einstellungen konzentriert und Kasser auf Unterschiede zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation. Jenen jungen Amerikanern, die ihr Studium beendet haben, dafür viele Schulden auf sich oder auf die Familie geladen und schlechte Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben, wird diese "Arbeitsmoral-Diagnose" möglicherweise höhnisch vorkommen. Sie wissen auch, dass Versprechungen, die sich als illusorisch herausstellen, nicht nur von der Werbung kommen.