Kohleausstieg: Groteske Entschädigungen
Kohlegesetz stößt auf massiven Widerspruch bei Jugendlichen, Umweltschützern und Tagebauanwohnern
Nun ist es also verabschiedet, das neue Kohleausstiegsgesetz, aber der Ärger um den Kohleausstieg hat damit vermutlich erst begonnen. Obwohl in den letzten mindestens eineinhalb Jahren der Betrieb eines Kohlekraftwerks meist ein Zusatzgeschäft war und entsprechend deren Stromerzeugung drastisch zurück ging, sollen viele Anlagen noch bis zu 18 Jahre weiter laufen.
Damit nicht genug, sollen die Betreiber auch noch fürstlich entschädigt werden. Wohlgemerkt: für das Stillegen von Anlagen, die keinen Gewinn mehr abwerfen. Allein die Braunkohlekonzerne RWE (Rheinland) und EPH mit seinen beiden Töchtern Mibrag und Leag (Ostdeutschland) werden 4,35 Milliarden Euro bekommen.
Mindestens zwei Milliarden Euro zuviel, meinen Gutachter des Freiburger Ökoinstituts. Angesichts dessen, dass Sonne, Wind & Co., wie berichtet, im ersten Halbjahr bereits gut 55 Prozent der Nettostromerzeugung geliefert hat, ist das gradezu grotesk.
Damit dürfte auch dem letzten klar sein, weshalb das Bundeswirtschaftsministerium so eifrig daran arbeitet, dem Ausbau der Windenergie immer neue Knüppel zwischen die Beine zu werfen und Arbeitsplätze in der Branche zu vernichten. Mehrere 10.000 sind bereits verschwunden und mancher weitere wackelt.
Denn wenn der Ausbau von Windkraft- und Solaranlagen so vorangetrieben würde, wie es die 2015 in Paris eingegangenen Verpflichtungen gebieten, dann würden nicht nur weit über 100.000 Arbeitsplätze geschaffen, sondern es würde sich auch das Geschäftsmodell Kohlekraftwerk ganz schnell erledigen.
Und noch schneller, wenn die Braunkohlekonzerne endlich mal angemessene Abgaben für die großflächige Zerstörung von Landschaft, fruchtbaren Ackerböden und Dörfern sowie die Ausbeutung von der Allgemeinheit gehörenden Rohstoffen zahlen müssten.
Doch weit gefehlt. Sachsen und Brandenburg leiden unter einer schweren Dürre, seit zwei Jahren regnet es zu wenig, um die arg strapazierten Grundwasserspeicher wieder aufzufüllen, aber die Leag senkt in der Lausitz weiter den Grundwasserspiegel für ihre Tagebaue ab. Für die Schäden an den Wäldern kommt hingegen der Steuerzahler auf.
Kein Wunder, dass Umweltschützer, Tagebauanwohner und Fridays-for-Future-Schüler mächtig sauer sind und sich von der Bundesregierung verschaukelt fühlen, wie sie am Freitagmorgen auf einer gemeinsamen Pressekonferenz deutlich machten. Die Schüler, EndeGelände, die Anwohner der Tagebaue, der BUND und die Grüne Liga kündigten an, jetzt erst recht weiter für einen schnellen Kohleausstieg streiten zu wollen.
"Es macht mich wütend, zu sehen, was die Wissenschaft seit Jahren sagt, ignoriert wird", meinte FFF-Aktivistin und Anwohnerin des rheinländischen Tagebau Garzweiler Christina Schliesky. Die Energiewende werde systematisch blockiert. Dieses "Kohlerettungsgesetz" werden so nicht akzeptiert werden.
Auch Tagebauanwohner David Dreesen sieht "keinen einzigen Grund, uns an dieses Gesetz zu halten". Acht weitere Dörfer sollen vernichtet werden. (Andere Quellen sprechen von sechs.) "Wenn wir uns weigern, unsere Häuser zu verlassen, dann zerrt uns die Polizei da raus und der Staat kommt und enteignet uns." Dreesen machte deutlich, dass die Räumung der Dörfer ein harter Kampf werden dürfte. "Wir werden uns schützend vor unsere Dörfer stellen und viele werden mitmachen."
Sicherlich auch viele Jugendliche, denn die wöchentlichen Aktionen der Schülerinnen und Schülern gehen weiter. Seit eineinhalb Jahren nun schon. In mindestens 37 Städten, auch auf der Nordseeinsel Pellworm, gab es an diesem Freitag Schülerproteste gegen das neue Kohlegesetz und für mehr Klimaschutz.
Den Vogel an Demagogie schoss derweil Bundesumweltministerin Svenja Schulze ab, die meinte, Deutschland sei nun "weltweit das erste Industrieland, das sowohl die Atomenergie aus auch die Kohle hinter sich lässt". Österreich, Belgien oder Dänemark, Spanien, Schweden oder Italien sind also nach Ansicht der Sozialdemokratin keine Industrieländer?