Lebensverlängerung? Lithium!
Mit Lithium wird ein altbekanntes Spurenelement als lebensverlängernde Maßnahme propagiert. Dabei sind die Gefahren längst bekannt
Eine Kooperative aus japanischen und deutschen Forschern ist der menschlichen Langlebigkeit auf der Spur. In einer Studie (pdf) zeigt das Team um Michael Ristow von der Universität Jena gemeinsam mit japanischen Kollegen in zwei unabhängigen Untersuchungen, dass das im Trinkwasser vorkommende Spurenelement Lithium bereits in geringer Konzentration sowohl beim Menschen als auch beim Fadenwurm (genauer: Caenorhabditis elegans) zu einem längeren Leben führt.
Das Vorgehen klingt zunächst einleuchtend: Zusammen mit den japanischen Forschern hatten die Jenaer Ernährungswissenschaftler die Sterberate in 18 japanischen Gemeinden untersucht und diese in Beziehung zum jeweiligen Lithiumgehalt des Leitungswassers gesetzt. "Dabei hat sich gezeigt, dass die Sterberate in den Gemeinden deutlich geringer ausfällt, in denen mehr Lithium im Leitungswasser vorkommt", erläutert Ristow das zentrale Ergebnis. In einem zweiten Experiment hatten die Jenaer Forscher genau diesen Konzentrationsbereich am Fadenwurm untersucht. Das Ergebnis: "Auch die durchschnittliche Lebenserwartung der Würmer ist höher, wenn sie mit Lithium in dieser Dosierung behandelt werden", sagt Ristow.
Der Haken: Natürlich lässt sich allein aus der Korrelation nicht beweisen, dass bei den Menschen das Lithium für das um vier bis fünf Jahre längere Leben verantwortlich war. Das nun aber eine zweite Korrelation, nämlich die der Lebensverlängerung bei den Fadenwürmern, der ersten auf die Sprünge helfen und zur Ursache machen soll, wirkt seltsam. Die Wissenschaftler spekulieren gleichwohl, dass Lithium in niedriger Dosierung zukünftig möglicherweise auch als Nahrungsergänzungsmittel eingesetzt werden kann. Der Spiegel betitelt in seiner aktuellen Ausgabe ein Interview mit Michael Ristow "Jungbrunnen im Trinkwasser" (10/2011, S. 111).
Man braucht gar nicht die sozial-philosophischen Argumente bemühen ("Warum sollte ein langes notwendigerweise ein besseren Leben sein?"), um den Irrwitz aufzuzeigen. Unbeleuchtet bleibt beispielsweise, dass Lithium wahrlich keine unbekannte Substanz in der Humanmedizin ist. Einerseits war es vor dem Aufkommen der modernen Antidepressiva, den SSRI, das Mittel der Wahl bei Depressionen. Im therapeutischen Vergleich zu diesen schneidet es gar nicht so viel schlechter ab, als die pharmazeutische Industrie es weismachen will. Ein Problem war und ist allerdings die korrekte Dosierung - die giftige Menge ist nur wenig höher als die therapeutische Dosis. Und trotz eingehender Forschung sind die Wirkmechanismen von Lithium im menschlichen Körper weitgehend unbekannt. Es greift in eine Vielzahl von Prozessen ein. Allein deshalb mutet es seltsam an, eine Etablierung der Substanz als Nahrungsergänzungsmittel in Erwägung zu ziehen.
In Japan hat die Erforschung von Lithium Tradition. Zuletzt hatte 2009 ein Team um Takeshi Terao nachzuweisen versucht, dass höhere Anteile von Lithium im Trinkwasser das Selbstmordrisiko in der Bevölkerung senkt ( Lithium im Trinkwasser senkt die Suizidrate). Es sind die Daten aus dieser Erhebung, die nun neu gesichtet und für die aktuelle Untersuchung in Jena herangezogen wurden. Bereits 1990 veröffentlichte die Universität San Diego eine Analyse, nach der in den texanischen Landkreisen, in denen kaum oder nur wenig Lithium im Trinkwasser vorkommt, die Rate der Verbrechen und Selbstmorde höher ist. Noch hat sich kein Wissenschaftler die Mühe gemacht zu überprüfen, ob hier nur Voodoo-Korrelationen vorliegen.
Wie üblich beim potentiellen Einsatz von neuen Nahrungsergänzungsmitteln ist von biologischen und mentalen Individualitäten, Alter und Parallelmedikation keine Rede. Mal ganz abgesehen von dem Screening nach anderen Mineralien wie Magnesium, die ebenfalls biologische Effekte haben.
Um die Dinge einzuordnen: Als hohe Trinkwasserkonzentration gilt rund 2mg Lithium täglich, psychiatrische Dosen fangen bei täglich 300mg an. Es dürfte trotzdem sehr schwer werden, die noch gesunde Dosis Lithium festzulegen. Zumal warnende Hinweise aus den argentinischen Anden vorliegen. Dort gibt es Regionen, in denen die Lithium-Konzentration im Trinkwasser 10-20 mal höher ist, Maximalwerte von 30mg täglich werden von den Bewohnern erreicht. Glaubt man der doi/10.1289/ehp.1002678: Untersuchung von schwedischen Forschern, führten aber schon die geringsten Dosen in der Studie zu einem Phänomen, das aus der Lithiumtherapie bekannt ist: zu Irritationen der Schilddrüsenfunktionen. Leider ist diese Studie in der Untersuchung von Michael Ristow und den japanischen Kollegen nicht genannt.