Libyen: Parlament zieht auf Hotelschiff um
Die Kämpfe unter den Milizen gehen ungehindert weiter. Das Parlament ist politisch am Ende und tagt aus Sicherheitsgründen auf einem Schiff
Die Kämpfe zwischen den feindlichen Milizen haben die Vororte von Tripoliserreicht. Gestern Morgen feuerten Milizangehörige Raketen auf ein wohlhabendes Viertel am Stadtrand der Metropole. Bei den Angriffen mit Grad-Raketen auf die Stadtteile Gargaresch und Hai Andalus starben Anwohnern zufolge drei Menschen. Die beiden Viertel waren bis vor kurzem unbeeinträchtigt von der seit Wochen anhaltenden Gewalt. Dort liegt auch die Börse des Landes.
Die Umgebung des internationalen Flughafens ist seit langem heftig umkämpft. Der Airport wird seit dem vom Westen unterstützten Aufstand gegen den langjährigen Machthaber Muammar Gaddafi 2011 von einer Miliz aus der Stadt Sintan kontrolliert. Sie sehen sich Angriffen rivalisierender Kämpfer aus Misrata gegenüber. Die anhaltende Gewalt hat bei den Vereinten Nationen und vielen westlichen Regierungen die Befürchtung wachsen lassen, Libyen könnte sich zu einem "gescheiterten Staat" entwickeln, in dessen Anarchie sich extremistische Islamistengruppen ausbreiten könnten.
Währenddessen ist das Parlament Libyen auf ein Hotelschiff umgezogen. Wie die Zeitung Libya Herald am Dienstag berichtete, fuhr das von der Regierung angemietete Schiff am Vortag im Hafen der Stadt Tobruk ein, wo die Volksvertreter aus Sicherheitsgründen hunderte Kilometer von den umkämpften Städten Tripolis und Bengasi entfernt tagen. Laut Zeitung Al-Wasat lehnen es einige Parlamentarier jedoch aus moralischen Gründen ab, in das schwimmende Hotel zu ziehen. Es soll 40.000 Euro am Tag kosten.
Parlament fordert Intervention von UN
Am Montag flogen Kampfjets erstmals auch Luftangriffe auf Ziele im Großraum Tripolis. Wie die Zeitung Al-Wasat berichtete, waren in der Nacht zum Montag Bombardements in einem Gebiet südlich von Tripolis zu hören. Ein Reporter der Zeitung meldete fünf Explosionen. Wer dafür verantwortlich war, blieb "rätselhaft". Auch die Übergangsregierung erklärte, sie habe keine Erkenntnisse über die Angriffe. Sie ordnete eine Untersuchung an und bat "befreundete Staaten" um Hilfe.
In Tripolis liefern sich Milizen aus Zintan und Misrata seit Wochen blutige Kämpfe um den Flughafen der Hauptstadt. Al-Wasat zufolge sollen die Luftangriffe islamistischen Milizen aus Misrata gegolten haben. In den vergangenen Monaten hatten Verbündete des abtrünnigen libyschen Generalmajors Chalifa Haftar schon mehrmals Luftschläge gegen islamistische Milizen verübt (vgl. Putschversuch im libyschen Schlamassel). Die Kämpfe waren allerdings zumeist auf Bengasi konzentriert.
Haftar hatte Mitte Mai eigenmächtig unter dem Namen "Operation Würde" eine Militäroffensive gegen Islamisten gestartet. Bei den kämpfenden Milizen handelt es sich um ehemalige Revolutionsbrigaden, die 2011 am Sturz von Muammar al-Gaddafi beteiligt waren. Seither prägen Milizen, hervorgegangen aus den verschiedenen Rebellengruppen während des Bürgerkriegs, die Lage im Land.
Am vergangenen Mittwoch forderte das Parlament mehrheitlich eine Intervention der UN, um die Zivilisten zu schützen.Von Experten wird dies als Eingeständnis der Hilflosigkeit der Gruppen verstanden, die im Abgeordnetenhaus sitzen, aber kaum die Bevölkerung repräsentieren, da die Wahlbeteiligung "extrem gering" und in einigen Gegenden gar keine Abstimmung möglich gewesen sei. Das Parlamenet sei politisch am Ende, erklärt der der frühere österreichische Verteidigungsattaché in Libyen, Wolfgang Pusztai.
Wegen der Gewalteskalation haben die meisten internationalen Botschaften ihr Personal aus dem nordafrikanischen Land abgezogen. Hilfe für die Bevölkerung kommt nun vom Uno-Flüchtlingshilfswerk: das UNHCR-Hilfswerk schickt Medikamente, Decken und andere Hilfsgüter von Tunesien nach Libyen, die dort von Partnerorganisationen in der Stadt Sawija - rund 45 Kilometer westlich der Hauptstadt - an etwa 12.000 Flüchtlinge verteilt wurden.
Die UNHCR hat nach eigenen Angaben zwar ein eigenes Lager in Tripolis, kommt aber wegen der Gefechte nicht mehr an die Hilfsgüter heran. Laut dem Flüchtlingswerk fehlt es in Tripolis an Benzin, Lebensmitteln und Wasser. Hilfsorganisationen schätzen, dass mindestens zwei Millionen Menschen durch die Lebensmittelknappheit bedroht sind. Auch das Gesundheitssystem leide, weil zahlreiche Mitarbeiter in Kliniken wegen der andauernden Gewalt ausgereist seien.