"Marsch auf Madrid"
Der spanische Sozialgipfel will die Regierung vom harten Sparkurs abbringen und ein Referendum erzwingen
Nach zahlreichen Protesten in Spanien im Laufe der Woche werden am heutigen Samstag sollen zahllose Menschen mit dem "Marsch auf Madrid" die Hauptstadt einnehmen. Mit der großen Mobilisierung, die aber auch bei einigen Gewerkschaften, vielen Linken und der Empörten-Bewegung umstritten ist, will der "Sozialgipfel" die konservative Regierung dazu bringen, den Sparkurs aufzugeben. Die Plattform, die von den beiden großen spanischen Gewerkschaften Arbeiterkommissionen (CCOO) und Arbeiterunion (UGT) dominiert wird, will Ministerpräsident Mariano Rajoy vor allem dazu zwingen, in einem Referendum über seinen harten Sparkurs abstimmen zu lassen.
Die etwa 900 Gewerkschaften, sozialen Organisationen und Basisgruppen, die inzwischen zu dem Marsch aufrufen, werfen der Volkspartei (PP) einen "gnadenlosen Demokratiebetrug" vor. "So kann es nicht weitergehen", sagen sie wegen der tiefen Einschnitte ins Sozialsystem. Rajoy sei mit den Versprechen gewählt worden, weder Steuern zu erhöhen, noch Einschnitte am Bildungs- und Gesundheitssystem vorzunehmen, Steuergelder in marode Banken zu stecken oder den Kündigungsschutz zu schleifen. Doch er macht das Gegenteil. "Der Moment ist gekommen, 'Es reicht!' zu sagen."
Auch im Sommer wurden Proteste angesichts der Tatsache aufrechterhalten, dass viele Menschen nun im öffentlichen Dienst gekündigt werden. Allein im Bildungsbereich wird geschätzt, dass 100.000 Stellen wegfallen. Dabei steigt die Arbeitslosigkeit auf immer neue Rekorde. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat gerade ermittelt, dass Spanien unrühmlicher "Weltmeister" ist. Griechenland steht dahinter, steht aber an der Spitzen bei der Jugendarbeitslosigkeit. Bei unter 25‑Jährigen sind dort schon 55 Prozent ohne Job, während es in Spanien gut 53 Prozent sind. Sogar im August, wenn Millionen das Ferienland besuchen, gingen offiziell 40.000 Jobs verloren, während die Sozialversicherung sogar 140.000 Beitragszahler verlor. Viele melden sich nicht mehr arbeitslos, weil sie keine Unterstützung erhalten und mit befristeten Jobs keinen neuen Anspruch erwerben.
Vom Jobwunder, dass mit der Arbeitsmarktreform im Frühjahr versprochen wurde, ist nichts zu sehen. Viele Unternehmen haben die Reform genutzt, um sich billig von langjährigen Beschäftigten zu trennen. Im ersten Quartal 2012 ist die Arbeitslosigkeit so stark gestiegen wie zu Beginn der Krise 2009 nicht mehr. Per Dekret wurden Abfindungen im Februar mehr als halbiert, die den einzigen Kündigungsschutz darstellen. Der "Jugend wird die Zukunft" geraubt und "die einfache Bevölkerung verarmt", die Regierung behandele "Immigranten feindselig", die aus der Gesundheitsversorgung ausgegrenzt und Frauen nehme sie das "Recht auf Abtreibung".
Deshalb fordert der Sozialgipfel von der Regierung, "in einem Referendum über die beschlossenen Maßnahmen abzustimmen". Um das zu erreichen, wird auch ein Generalstreik nicht ausgeschlossen. Um den Druck zu erhöhen, wurde schon von einem "Volks-Generalstreik" gesprochen, der sich nicht auf die Arbeitsstellen beschränkt, sondern das Land lahmlegen soll. Zuletzt wurde 1988 zu diesem Mittel gegriffen, als auch große Sportveranstaltungen verhindert wurden.
Dass beim Sozialgipfel-Treffen am Dienstag kein Termin genannt wurde, trifft auf viel Kritik. Erwartet wurde, dass man sich wie im März beim Generalstreik aller baskischen Gewerkschaften gegen die Arbeitsmarktreform, deren Termin am 26 September anschließt. Das kritisiert die anarchosyndikalistische CGT. Sie meint, die "Spontanität und die Effektivität des Kampfs verlaufen sich". Die CGT traut, wie andere Gewerkschaften auch, CCOO und UGT nicht, weil die sich immer wieder mit den neoliberalen Sparvorhaben arrangiert und mit den Sozialdemokraten (PSOE) sogar die Rente mit 67 beschlossen haben. Auch viele in der Empörten-Bewegung teilen die Kritik und arbeiten an einem Generalstreik. So hat die Empörten-Versammlung in Pamplona sich eindeutig gegen den Sozialgipfel positioniert, weil man "ernsthafte Zweifel an der Ehrlichkeit" einiger Aufrufer habe. Sie werfen der CCOO und UGT die Verstrickungen zur PSOE vor, die mit ihren Stimmen eine Verfassungsreform ermöglicht hat, um die Schuldenbremse darin zu verankern.