Mit Hochgeschwindigkeitsstrecken in den Abgrund
Nur eine Hochgeschwindigkeitsstrecke in Europa ist rentabel, beim Vize-Weltmeister Spanien ist es keine einzige, doch dort wird fleißig an neuen Kilometern und Defizitbringern gebaut
Eine Studie der spanischen Stiftung für angewandte Ökonomie (Fedea) fällt ein klares Urteil: "Weder für die Unternehmen noch für die Gesellschaft" rechneten sich die AVE-Hochgeschwindigkeitsstrecken in Spanien. "Alta Velociad Española" oder auch "Vogel" bedeutet "Ave", weil die Züge sprichwörtlich mit gut 300 Stundenkilometern unrentabel durchs Land fliegen. Und das ist natürlich für Spanien, das sich nach China weltweit das zweitlängste Streckennetz leistet, ein vernichtendes Urteil. Und das gilt auch für die EU-Kommission, welche die immer neuen milliardenschweren Ausbaupläne der Spanier mit viel Geld unterstützt.
Allein im spanischen Haushalt sind 2015 fast 3,6 Milliarden Euro für neue Strecken vorgesehen. Während überall wegen des hohen Defizits die Schere angesetzt wird, werden die AVE-Strecken im Superwahljahr sogar mit einem Zuschlag von 11,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedacht. Dabei ist jeder neue teure Kilometer, der damit gebaut wird, ein neuer Defizitbringer in der Zukunft. Das belegen die Forscher Ofelia Betancor und Gerard Llobet in ihrer Studie.
Und sie haben es sich darin nicht einfach gemacht. Denn sie haben auch etliche indirekte Faktoren in die Betrachtung aufgenommen, um zu bewerten, ob AVE-Strecken gesellschaftlich rentabel sein könnten. Doch auch die am stärksten genutzte Strecke zwischen der Hauptstadt Madrid und der katalanischen Metropole Barcelona wird gesellschaftlich nicht rentabel, wenn Nebeneffekte in die Betrachtung einbezogen werden: Zeitersparnis, Stauvermeidung auf der Straße durch Umstieg vom Auto auf den Zug oder positive Effekte durch den Umstieg von Flugzeug auf die Schiene.
Eigentlich hätten die AVE-Strecken in Spanien also nie gebaut werden dürfen, lässt sich als Ergebnis aus der Studie ziehen. Sie sind ökonomisch und gesellschaftlich für Spanien eher ein Desaster. Der Preis ist enorm, der dafür bezahlt wurde und noch bezahlt werden wird. So weist die Studie auf die "hohen Kosten" beim Bau hin und streicht dazu "die Konsequenzen für die Zukunft" heraus. Denn das Land hat schon gut 45 Milliarden Euro in Hochgeschwindigkeitsstrecken mit einer Gesamtlänge von fast 2.700 Kilometern (Stand 2012) verbaut und sich dafür verschuldet. An weiteren 1.200 Kilometern wird derzeit gebaut, wobei schon jetzt dafür weitere 12 Milliarden Euro veranschlagt werden.
Spanien ist in absoluten Zahlen längst Europameister und Vize-Weltmeister. Nur das ungleich größere China hat noch ein längeres Netz. Auf eine Million Bewohner in Spanien kommen nun 54 Kilometer der teuren AVE-Strecken. Im Vergleich dazu kommt das ökonomisch deutlich stärkere Frankreich nur auf gut die Hälfte (31). Frankreich verfügt aber auch über eine der wenigen rentablen Strecken weltweit. "Nur zwei Hochgeschwindigkeitstrecken erreichen eine klare finanzielle Rentabilität." Eine davon ist die japanische zwischen der Hauptstadt Tokio und Osaka, streichen die Forscher heraus.
Die zweite findet sich in Europa zwischen Paris und Lyon. Und gemeint ist mit Rentabilität, dass nicht nur die Betriebs- und enormen Instandhaltungskosten wieder eingefahren werden. Das scheint bisweilen auch auf einigen spanischen Strecken möglich zu sein, sondern dass auch die enormen Investitionskosten wieder eingefahren werden. Die Strecke Madrid-Barcelona ist die noch "am wenigsten ungünstigste", weil die Betriebsergebnisse wenigstens noch zu 46 Prozent die Konstruktionskosten mit abdecken.
Warum die spanischen Strecken unrentabel sind, lässt sich leicht an Fahrgastzahlen ablesen. Während in Japan auf jeden Kilometer Hochgeschwindigkeitsstrecke fast 160.000 Fahrgäste kommen, schrumpft die Zahl in Frankreich schon auf gut 61.000. Für Spanien ergibt sich eine völlig unrentable Zahl von nicht einmal 12.000. Die wurde allerdings schon darüber verbessert, dass die Strecke von der Toledo über Cuenca in die Provinzstadt Albacete 2011 nach nur sechs Monaten schon wieder eingestellt wurde. Denn die teuren Züge wurden täglich im Durchschnitt nur von neun Fahrgästen genutzt. 3,5 Milliarden Euro kostete der Ausbau. In den nächsten 50 Jahren werden nach Ansicht der Studie nicht einmal die vier spanischen Strecken rentabel, die am stärksten genutzt werden. Selbst wenn die Fahrgastzahlen deutlich über denen liegen, die in der Studie angesetzt wurden, würden Verluste nur begrenzt. Das ist die wenig optimistische Aussicht für den Defizitproduzenten AVE.
Die Fedea-Forscher suchen deshalb auch nach Begründungen, warum weiter am starken Ausbau festgehalten wird. Ein Grund könnten "politische" Interessen sein, die Befriedigung von Lokalpolitikern, Wählerstimmen… da "das Fehlen einer ökonomischen Begründung für diese Investitionen manifest" sei. Gesund ist diese Politik in einem Land nicht, dessen Verschuldung schon auf fast 100 Prozent der Wirtschaftsleistung angeschwollen ist. Das Haushaltsdefizit bekommt Spanien auch weiterhin nicht in den Griff, es lag nach ersten Schätzungen 2014 mit gut 5,7 Prozent erneut fast doppelt so hoch, wie es nach den Stabilitätskriterien mit drei Prozent sein sollte. Ob es dabei bleibt, muss sich noch zeigen, Spanien ist bekannt dafür, dass es seine schöngerechneten Zahlen immer mal wieder nach oben korrigieren muss.
Und klar ist aber auch längst, dass das AVE-Netz noch für viele Jahre eine Inselbleiben wird. Portugal hat aus Spargründen den Bau der AVE-Strecke nach Lissabon auf Eis gelegt. Trotz allem baut Spaniens rechtskonservative Volkspartei (PP) an der Strecke von Madrid in die Provinzhauptstadt Badajoz (etwa 150.000 Einwohner) weiter, die an der portugiesischen Grenze in einer Region enden wird, die von der PP regiert wird. Auch Frankreich will sein Hochgeschwindigkeitsnetz aus Spargründen bis 2030 weder am Mittelmeer noch am Atlantik mit dem spanischen Netz verbinden.