Neuer harter Schlag für spanische Zwangsräumungspraxis

Der Europäische Gerichtshof hält Reform-Gesetze für nicht vereinbar mit dem europäischen Verbraucherschutz. Angst vor riesigen Löchern in den Bankbilanzen

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Mit scharfen Worten rügte der Europäische Gerichtshof (EuGH) 2013, dass in Spanien auch in existenziellen Fragen Verbraucherrechte mit Füßen getreten werden, weil das zum "Verlust des Eigentums" und zur Zwangsräumung führt. "Es reicht", hatten die Richter in Luxemburg mit Blick auf hunderttausende Zwangsräumungen seit Krisenbeginn 2008 erklärt und forderten eine Reform von mehr als 100 Jahre alten Hypothekengesetzen. Denn die hebelten EU‑Verbraucherrechte aus.

Sie verunmöglichten es sogar, eine auf illegalen Klauseln in Kreditverträgen beruhende Zwangsräumung juristisch zu stoppen. Zwar hatte die regierende konservative Volkspartei (PP) Gesetze geändert, doch damit wurden die Verbraucherrechte nicht gesichert, hat das EuGH nun am vergangenen Donnerstag geurteilt.

Frist beginnt ohne Information der Betroffenen

Wie sich Banken weiter das Eigentum der Familien aneignen können, ist auch heute noch illegal, urteilte der EuGH. Das Gericht machte deutlich, dass vielen Verbrauchern weiter der Rechtsweg versperrt bleibe, auch wenn die Räumung auf nichtigen Klauseln beruht. Konkret wurde der Umgang mit der Einspruchsfrist im neuen Gesetz gerügt. Zwar sei eine Monatsfrist in einer Übergangsregelung grundsätzlich genug, doch die Richter lehnen es ab, dass diese Frist zu laufen beginnt, ohne dass das der Betroffene davon erfährt.

Sie startet einfach mit einer Veröffentlichung im Gesetzesblatt und das "verstößt gegen den Effektivitätsgrundsatz", urteilen die Richter. Die Frist beginne abzulaufen, "ohne dass die betroffenen Verbraucher persönlich darüber informiert werden, dass sie einen neuen Einspruchsgrund" hätten. Nur der Widerspruch stoppt das Räumungsverfahren, bis die Frage geklärt ist, ob es auf Basis missbräuchlicher Klauseln eingeleitet wurde. Damit sei ein Recht nicht garantiert, das mit der Reform eingeführt wurde.

Der Gerichtshof stellt fest, dass unter Berücksichtigung des Ablaufs, der Besonderheit
und der Komplexität des Verfahrens und der anwendbaren Rechtsvorschriften eine erhebliche Gefahr besteht, dass die Frist abläuft, ohne dass die betroffenen Verbraucher ihre Rechte wirksam und zweckdienlich gerichtlich geltend machen können, insbesondere weil sie in Wirklichkeit den genauen Umfang ihrer Rechte nicht kennen oder nicht richtig erfassen. (Hervorhebungen im Orginal)

Die gescholtene Regierung kehrt die Scherben zusammen. Sie meint aber, ihr Gesetz müsse nicht geändert werden und behauptet, es seien nur wenige Fälle betroffen. Faktisch kann sie ohnehin nichts mehr ändern, denn diese Woche wurde das Parlament vor den Wahlen am 20. Dezember aufgelöst.

Das Urteil ist neues Wasser auf die Mühlen der Oppositionsparteien, welche wie Podemos die Räumungspraxis angegriffen haben. Für die Sozialisten (PSOE) gilt das nicht, denn sie haben bis 2011 an der Regierung nichts für den Verbraucherschutz getan. Sie haben die Polizei losgeschickt, um Familien aus ihren Wohnungen zu werfen, obwohl die Räumungen oft auf illegalen Klauseln beruhten oder sogar gegen die Verfassung oder Menschenrechte verstießen.

Müssen die Banken nun Zinsen zurückzahlen?

Die Entstehung von Podemos und den Bürgerkandidaturen ist eng mit der starken Bewegung gegen die Zwangsräumungen verbunden. Die frühere Sprecherin der "Plattform der Hypothekengeschädigten" (PAH) ist seit Mai Bürgermeisterin in der katalanischen Metropole Barcelona. Für die PAH ist es eine Bestätigung und sie sieht sich wie Verbraucherorganisationen in der Einschätzung bestätigt, dass die Regierung unter Mariano Rajoy die Verbraucherrechte nicht wirklich schützen wollte.

Das machen sie auch an den Stellungnahmen der Konservativen zu einem gerade bekanntgewordenen Schreiben der EU-Kommission deutlich. Brüssel hatte sich schon im Juli an den EuGH in Luxemburg gerichtet, aber erst jetzt wurde das für das spanische Bankensystem gefährliche Schreiben bekannt. Die EU-Kommission spricht sich gegenüber dem EuGH dafür aus, spanischen Verbrauchern alle Zinsen zurückzuzahlen, die auf Basis nichtiger Klauseln gezahlt wurden.

Der Oberste Gerichtshof in Spanien wollte dies erst ab seinem Urteil 2013 ermöglichen, mit dem die Klausel für nichtig erklärt wurde. Genau diese Beschränkung verteidigt die Regierung weiter, um neue riesige Löcher in den Bankbilanzen zu verhindern. Sehr verbraucherunfreundlich und bankenfreundlich sei das, hatte der Gerichtshof argumentiert.

Die komplette Rückzahlung würde "schwere Verwerfungen in der wirtschaftlichen Ordnung" Spaniens nach sich ziehen. Verbraucherschützer waren entsetzt über eine neue Bankenrettung per Gericht. Denn jeder Haushalt hat im Durchschnitt bisher 15.000 Euro zu viel bezahlt.

Der EuGH wird nun definitiv entscheiden, ob die überhöhten Zinsen komplett zurückgezahlt werden müssen. "Es ist unmöglich, dass nationale Gerichte die Beschränkungen an den Rückzahlungen vornehmen, die für nichtig erklärte Klauseln bezahlt wurden", meint die EU-Kommission. Die Verbraucherschutzorganisation Facua feiert die Unterstützung dagegen, dass "Banken illegal einkassiertes Geld erlassen werden soll“.

Es sei "unerträglich", dass die Regierung weiter "für die Interessen der Banken gegen die Verbraucherrechte eintrete", weil sie weiterhin fordert, die Auswirkungen auf die Banken zu beschränken.

Es geht um die "cláusulas suelo" (Bodenklausel). Die hat Banken lange enorme Gewinne beschert, seit die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen stark gesenkt hat. Die Klausel verhinderte, dass niedrige Zinsen auch den Kreditnehmern zugute kommen. Denn nach unten sind sie oft gedeckelt, während sie nach oben unbegrenzt weitergegeben wurden.

Das führte mit der Finanzkrise und hochschießenden Zinsen 2008 dazu, dass viele Familien ihre Kredite nicht bedienen konnten. Oft verloren sie ihre Wohnung und blieben nach der Räumung auf hohen Restschulden sitzen. Nach Angaben von Verbraucherschützern wird sogar weiterhin geräumt, weil Geldinstitute bis heute das Urteil aus dem Jahr 2013 ignorieren.

Die Summe, um die nun gestritten wird, wurde damit weiter erhöht. Etwa 2,5 Millionen Verbraucher sollen viel zu viele Zinsen gezahlt haben und es soll deshalb um eine Summe bis zu 36 Milliarden Euro gehen. Das ist fast die, mit der mit 42,3 Milliarden spanische Banken über den europäischen Rettungsfonds vor der Pleite bewahrt wurden.

Schadensersatz und Restschulden

Und sie könnte weiter steigen, da Schadensersatzforderungen hinzukommen können. Denn seit 2009 wurden mehrere hunderttausend Immobilien geräumt, weil überhöhte Zinsen nicht gezahlt werden konnten.

Bestätigt das EuGH die Auffassung der EU-Kommission, womit gerechnet werden darf, können viele Familien auch hoffen, dass ihre Restschulden gestrichen werden. Das wird zu weiteren Abschreibungen in Bilanzen führen. Denn in Spanien werden die Restschulden mit der Übergabe der Wohnung an die Bank - anders als in den USA - nicht gestrichen.

Genau das hatte die PAH mit einer Gesetzesinitiative gefordert, die von den Konservativen bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde. Und das war ein zentraler Grund dafür, dass die Aktivisten in die Politik gingen und in vielen Städten wie Barcelona und Madrid schon regieren.