Polnisch-polnischer Krieg mit deutscher Beteiligung
Gegen den von polnischen Konservativen, Nationalisten und Rechten organisierten "Marsch der Unabhängigkeit" demonstrierende Deutsche erwecken in Polen böse Erinnerungen
"Achtung, Warschau droht am 11. November, dem Tag der Unabhängigkeit, eine Invasion deutscher Linksextremer." So lautete am Donnerstag der vergangenen Woche die Botschaft der neuen Politsendung von Jan Pospieszalski, der nach mehreren Monaten Fernsehabstinenz wieder auf den Bildschirm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens zurückkehren durfte .
Der nationalkonservative Poszpieszalski war nicht der erste, der in den letzten Wochen vor deutschen Autonomen warnte. Die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita machte dies bereits Ende Oktober und zitierte in ihrem Artikel sowohl einige Internetseiten deutscher antifaschistischer Gruppen, als auch die polnischen Verantwortlichen der Organisation Verständigung des 11. November.
Diese aus 53 Gruppen und Institutionen entstandene Koalition, darunter der linken Vierteljahreszeitschrift Krytyka Polityczna und der Organisation Nigdy Wiecej (Nie wieder), hatte sich zum Ziel gemacht, mit friedlichen Mitteln den am 11. November in Warschau stattfindenden "Marsch der Unabhängigkeit" zu verhindern.
Dieser findet seit mehreren Jahren in der polnischen Hauptstadt statt und ist leider nicht nur eine Versammlung patriotischer Polen wie einiger Veteranenverbände der Heimatarmee oder nationalkonservativer Gruppierungen, die auf ihr Polentum stolz sind, aber nicht rechtsradikalem Gedankengut nachhängen, sondern auch ein Anziehungspunkt für faschistische Organisationen. "Polen ist weiß" und andere rechtsradikale Parolen waren sowohl dieses Jahr als auch in den vergangen Jahren zu hören. Und diese faschistische Begleitmusik ist nicht verwunderlich. Die Organisatoren des Marsches sind das Nationalradikale Lager (ONR) und die Allpolnische Jugend. Zwei Gruppierungen, die unter dem Deckmantel des Patriotismus fremdenfeindliche und rechtsradikale Ansichten vertreten.
Dass diese Gruppierungen international gut vernetzt sind, zeigte der diesjährige Unabhängigkeitsmarsch. Da bereits im vergangenen Jahr Warschauer Bürger nach Dresdener Vorbild den Marsch verhindern wollten, baten die polnischen Rechten im Vorfeld des Marsches erfolgreich um Unterstützung aus dem Ausland, wie die slowakischen, serbischen und ungarischen Flaggen einiger Teilnehmer zeigten. Und da auch noch polnische Fußballhooligans, zu denen auch viele Neo-Nazis gehören, ihr Kommen ankündigten, wurde für den 11. November das Schlimmste befürchtet. Nur mit dem Unterschied, dass liberale Medien die Gefahren bei den Rechten und konservative Blätter und Portale bei den deutschen "Anarchisten" sahen.
Wie der vergangene Freitag zeigte, haben sich die Befürchtungen beider Seiten erfüllt. Denn der 93. Jahrestag der Unabhängigkeit entwickelte sich zum Tag der Gewalt. 40 verletzte Polizisten, 29 Personen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, mehr als ein Dutzend ausgebrannter Fahrzeuge der Polizei, zwei angezündete Übertragungswagen polnischer Medien, enorme Sachschäden im Warschauer Stadtzentrum sowie 210 Verhaftete, davon 92 deutsche Antifaschisten, waren das traurige Fazit des Tages.
Beteiligung deutscher Antifaschisten an den Protesten gegen den Marsch der Unabhängigkeit erregt den Zorn vieler Polen
Für die polnischen Konservativen war die hohe Zahl verhafteter Deutscher ein gefundenes Fressen. "Mitten in Warschau, am Tag der Unabhängigkeit, haben Deutsche auf Polen nur deshalb eingeschlagen, weil sie irgendwelche patriotischen Abzeichen trugen. In ihrem eigenen Land, an ihrem eigenen Feiertag, durften die Polen keine historischen Uniformen tragen", erzürnte sich allen voran Jaroslaw Kaczynski, Vorsitzender der nationalkonservativen Recht und Gerechtigkeit (PiS), der den nach Warschau gereisten deutschen Antifaschisten dieselben psychischen Eigenschaften zuschreibt, "wie den Schlägertrupps, denen Adolf Hitler seine Macht verdankt".
Kaczynski ist nicht der einzige konservative Pole, der momentan so spricht und schreibt. In den letzten Tagen erschienen in nationalkonservativen Zeitungen und Portalen unzählige Texte, in denen vom ewigen Hass der Deutschen auf die Polen die Rede ist. Solche Töne sind nicht nur aus dem rechten Lager zu vernehmen. "Irgendwer kam auf die Idee, mit deutschen Schlagstöcken den Polen Toleranz beizubringen", ereiferte sich Jaroslaw Gowin, Politiker der deutschfreundlichen Regierungspartei Bürgerplattform.
Auch nachdem bekannt wurde, dass die meisten der 92 deutschen Gegendemonstranten bereits im Vorfeld der Straßenschlachten quasi prophylaktisch verhaftet wurden, riss diese Art der Berichterstattung nicht ab. Immerhin wird weiterhin gegen 39 Deutsche ermittelt. Und auch wenn unklar ist, inwieweit die aus Deutschland angereisten Antifaschisten für die Ausschreitungen mitverantwortlich sind, melden sich in den polnischen Medien momentan täglich Augenzeugen zu Wort, die von deutschen Autonomen berichten, die schon deshalb Leute beschimpften, bespuckten und verprügelten, weil sie einen weiß-roten Schal trugen.
Heftiger Kritik ist auch das linke Vierteljahresheft Krytyka Polityczna ausgesetzt, das neuerdings im rechten Lager auch gerne als "neo-leninistisch" bezeichnet wird. Sie habe die deutschen Autonomen nicht nur eingeladen, ihr Café in der Warschauer Prachtstraße Nowy Swiat, das von der Stadt Warschau mitfinanziert wird, diente den deutschen Autonomen auch als Lagezentrum und Asyl vor der Polizei, heißt es im konservativen Lager und verweist dabei auf ein von deutschen Autonomen hinterlassenes Arsenal von Schlagstöcken, Schlagringen und Tränengas, welches von der Polizei in dem Lokal gefunden wurde.
Was von den Konservativen jedoch kaum zu vernehmen ist, ist Selbstkritik. Denn die heftigsten Straßenschlachten lieferte sich die Polizei während des Marsches der Unabhängigkeit mit Fußballhooligans, die sich unter dem Banner des Patriotismus in der polnischen Hauptstadt einfanden. Kaum Beachtung finden im konservativen Lager leider auch die wenigen selbstkritischen Worte, die für die Zukunft eine klare Abgrenzung von der ONR und der Allpolnischen Jugend fordern. Diese gehen in der Wut auf die "Enkel Hitlers" entweder unter oder werden selber kritisiert.
Den Vorwurf mangelnder Kritik muss sich aber auch die polnische Linke und die deutsche Antifa gefallen lassen. Beide hätten wissen müssen, dass demonstrierende Deutsche auf den Straßen eines Landes, dass unter der Nazi-Besatzung so zu leiden hatte wie kaum ein anderes, böse Erinnerungen wecken können. Kurz: für die aktuelle Verschärfung des "polnisch-polnischen Krieges", wie die seit Jahren anhaltende gesellschaftliche und politische Spaltung in Polen genannt wird, tragen sowohl Links und Rechts die Verantwortung.