Portugal trickst bei Sparzielen
Nur über eine Überweisung aus Pensionsfonds konnte das Haushaltsdefizit gesenkt werden
Es hört sich gut an, wenn das portugiesische Finanzministerium verkünden kann, das Haushaltsdefizit sei im ersten Halbjahr um 47% auf 3,22 Milliarden Euro gesenkt worden. Allgemein wird deshalb von einem Lichtblick gesprochen und die konservative Regierung beschwört, dass die Reformen nun Wirkung zeigen würden. Damit liegt das Haushaltsdefizit zwischen Januar und Juni im Rahmen der 4,5%, den Portugal für das Rettungsprogramm in einer Höhe von 78 Milliarden Euro mit der Troika aus EU-Kommission, Internationaler Währungsfonds (IWF) und Europäischer Zentralbank (EZB) für 2012 vereinbart hat.
Doch angesichts dieser Nachricht verwundert, wenn die oppositionellen Sozialisten (PS) in Lissabon von einem "großen Risiko" sprechen, dass die konservative Regierung das Defizitziel deutlich verfehlt. Das PS-Fühungsmitglied Eurico Dias verweist auf das Kleingedruckte, wonach die Reduzierung vor allem auf einen einmaligen Vorgang zurückzuführen ist. Denn die Regierung unter Pedro Passos Coelho hat aus privaten Pensionsfonds von Banken 2,7 Milliarden Euro in den Staatshaushalt verschoben. Ohne den Griff in die Rentenkasse läge das Defizit mit 7,7% weit über dem Ziel für das laufende Jahr.
Die Entwicklung ist nur leicht positiv, denn das reale Defizit hat sich im Vergleich zum ersten Quartal kaum verändert. In den ersten drei Monaten hatte Lissabon das Defizit noch mit 7,9% angegeben. Die leichte Absenkung hat vor allem damit zu tun, dass die Staatsausgaben um 2,2% auf 23,1 Milliarden Euro gesunken sind. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass im öffentlichen Dienst verfassungswidrig kein Urlaubsgeld gezahlt wurde.
Dias sprach auch von einem "Nullsummenspiel", weil mit den Sparmaßnahmen der Konsum geschwächt wurde. Das hat dazu geführt, dass Steuereinnahmen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,2% eingebrochen sind, obwohl die Mehrwertsteuer im vergangenen Jahr sogar auf 23% angehoben wurde. Da auch zahlreiche Waren und Dienstleistungen nicht mehr zu verminderten Sätzen besteuert werden, wie auch das bedeutende Hotel- und Gaststättengewerbe im Land, hatte sich die Regierung eigentlich Mehreinnahmen erwartet.
Fallende Löhne und steigende Arbeitslosigkeit haben auch dazu geführt, dass die Einnahmen der Sozialversicherung um 244 Millionen Euro (3,7%) im Vergleich zum Vorjahreszeitraum in dem ausblutenden Land gesunken sind, kritisiert auch Vasco Cardoso. Der Kommunist spricht von einer "Verarmung der Arbeiter und des Volks", damit sich der "Finanzsektor weiter bereichern kann". Die Wirtschaft des Landes werde ruiniert, weshalb diese Politik so schnell wie möglich beendet werden müsse, fügte das Mitglied des PCP-Zentralkomitees an.
Vergleicht man die realen Defizitzahlen mit der Tatsache, dass das Defizit Ende 2011 sogar mit nur 4,2% statt der geplanten 5,9% ausgewiesen wurde, könnte man zur Einschätzung kommen, dass sich die Lage sogar verschlechtert hat. Dem ist aber nicht so, denn schon 2011 wurde tief in private Rentenfonds gegriffen, um die Troika-Vorgaben angeblich sogar zu übertreffen. 2011 wurden daraus sechs Milliarden Euro in den Staatshaushalt überwiesen, um das Defizit zu schönen.
Ohne einen erneuten Griff in Rentenkassen im zweiten Halbjahr kann Portugal sein Defizit nicht wie geplant senken. Durch "einmalige Einnahmen", wie das Finanzministerium die Überweisungen nennt, werden aber strukturelle Probleme nicht beseitigt. Insgesamt gehen Experten nicht davon aus, dass Portugal die Defizitvorgaben 2012 einhalten wird. Das Land ist auf Grund des strikten Sparkurses in die schwerste Rezession seit den 1970er Jahren geschlittert und befindet sich auf dem Weg, wie Griechenland in die Depression abzugleiten. Allgemein wird deshalb erwartet, dass Einnahmen weiter sinken und die Ausgaben weiter steigen.
Sogar die Regierung hatte kürzlich erwartet, 2012 das Defizitziel zu verfehlen. Das hatte auch mit einem Urteil des Verfassungsgerichts zu tun. Das höchste Gericht hat die Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgelds im öffentlichen Dienst und bei Rentnern wieder gekippt. Im Herbst will Coelho mit Brüssel die Vorgaben nachverhandeln, die dem Land gemacht wurden. Portugal bezieht sich darauf, dass dem abstürzenden Nachbar Spanien immer neue Erleichterungen gewährt werden. Statt das Defizit 2012 auf 4,4% zu senken, darf Spanien, das bisher massiv gegen alle Defizitziele verstoßen hat, als Belohnung nun sogar 6,3% ausweisen. Wie Madrid will auch Lissabon ein weiteres Jahr Zeit erhalten, um das Defizit nicht schon 2013 sondern erst 2014 wieder unter die Stabilitätsgrenze von 3% zu drücken.