Schwarzfahren wird teurer

An der Kriminalisierung wird festgehalten. Allein in Berlin wandern daher mehrere hundert Personen jährlich ins Gefängnis

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Bundesrat hat einer Verordnung der Bundesregierung zugestimmt, mit der bundesweit das Bußgeld für Schwarzfahren im Öffentlichen Personennahverkehr von 40 auf 60 Euro angehoben wird. Die Länderkammer hatte im November die Regierung gebeten, eine entsprechende Regelung zu beschließen. Auf der Seite der Hamburger Senatskanzlei heißt es, auch die von Sozialdemokraten und Grünen – jener Partei, die einst den Nulltarif gefordert hatte – regierte Hansestadt habe dem Antrag an die Bundesregierung seinerzeit zugestimmt.

Für die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) kommt die Erhöhung des Bußgeldes zur Unzeit Unbeabsichtigtes Schwarzfahren komme häufig vor, weil die Fahrgäste nicht mit der komplizierten Tarifstruktur oder den Fahrkartenautomaten zurecht finden. "Unübersichtliche Fahrpläne und Tarifstrukturen zerren an den Nerven der Verbraucher, und spätestens am Fahrkartenautomaten wird der Nahverkehr zum Abenteuer“, meint Marion Jungbluth vom vzbv. Fahrkartenautomaten, die nicht verständlich seien, könnten leicht dazu führen, dass unbeabsichtigt der falsche Fahrschein gelöst werde. Jungbluth: "Die Strafgebühr für Schwarzfahrer darf erst erhöht werden, wenn jeder in der Lage ist, den richtigen Fahrschein zu lösen.“

Weil Tarifsystem und Ticketwahl meist zu kompliziert sind, seien Touristen, egal ob aus dem In- oder Ausland, häufig nicht in der Lage, am Automaten den richtigen Fahrschein zu lösen. Jeder fünfte Schüler habe in einer Pisa-Studie Schwierigkeiten gehabt, an einem unbekannten Fahrkartenautomaten passende Fahrscheine zu kaufen. Jungbluth: "Tarife und Vertrieb im ÖPNV müssen vereinfacht werden, damit sich unbeabsichtigtes Schwarzfahren besser vermeiden lässt.“

Für sie ist es ein Unding, das eigentlich zahlungswillige Fahrgäste, die einen falschen Fahrschein haben oder ihr Monatsticket vielleicht vergessen haben, kriminalisiert werden. Mehr Kulanz sei nötig und Kontrolleure seien entsprechend zu schulen. In Berlin stellt hingegen die Staatsanwaltschaft selbst Schülern nach, die lediglich wiederholt ihre gültige Monatskarte vergessen hatten, doch diese jeweils später bei den Verkehrsbetrieben vorgezeigt und dazu noch die fällige Bearbeitungsgebühr gezahlt hatten.

Und man lässt sich die Kriminalisierung einiges kosten. Dieser Tage wurde in Baden-Württemberg mit erheblichen Aufwand ein offensichtlich mittelloser junger Mann dingfest gemacht, gegen den zwei Haftbefehle wegen Schwarzfahrens vorlagen. Nun soll er für 105 Tage hinter Schloss und Riegel. Mindestens 120 Euro pro Tag zahlt das Staatssäckel dafür. Macht 12.600 Euro, die sich die Gesellschaft die Strafe für eine Lappalie kosten lässt – Geld, das sicherlich im ÖPNV sicherlich erheblich sinnvoller investiert wäre.

Der Mann ist kein Einzelfall. 2010 berichtete die taz aus Berlin, dass dort in der Haftanstalt Plötzensee ein knappes Drittel der 444 Insassen wegen "Erschleichen einer Beförderungsleistung" einsitzt. Inzwischen könnten es sogar noch mehr geworden sein, denn die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und die Bahn-Tochter S-Bahn haben den Druck erhöht. Mehr Kontrolleure werden eingesetzt und häufiger Strafanzeigen gestellt. Der Berliner Tagesspiegel schrieb im Februar, dass die Zahl der Anzeigen 2014 drastisch zugenommen habe. Bei der BVG stieg sie von 2.000 im Vorjahr auf fast 34.000, bei der S-Bahn von gut 12.000 auf 20.000.

In Berlin lässt man sich die Kontrollen und die Bearbeitung der Ergebnisse fast zehn Millionen Euro im Jahr kosten. Die BVG macht dabei mit den Schwarzfahrergeldern immerhin ein Plus von zwei Millionen Euro, aber die S-Bahn bekommt gerade so ihre Ausgaben wieder rein. Andern geht es ähnlich: Bei der Essener Verkehrs AG nahm man 2014 900.000 Euro von Schwarzfahrern ein, doch das Geld ging größten Teils für die Finanzierung der Kontrolleure drauf.

Sozial- und Christdemokraten scheinen weder mit der Kriminalisierung noch mit dem fragwürdigen ökonomischen Sinn des Ganzen ein Problem zu haben. Im Berliner Abgeordnetenhaus lassen sie immer wieder Anträge der Opposition zum Thema abblitzen. Die Piraten hatten zum Beispiel eine Bundesratsinitiative gefordert, mit der der entsprechende Passus aus dem Strafgesetzbuch ersatzlos gestrichen werden sollte, der aus dem Fahren ohne gültiges Ticket eine Straftat des "Erschleichens von Leistung" macht. Auch die Grünen halten Schwarzfahren eher für etwas ähnliches wie Falschparken oder Telefonieren am Lenkrad und wollen es nur noch als Ordnungswidrigkeit geahndet sehen.

Angesichts des Beitrags des Autoverkehrs zum Klimawandel (etwas unter 20 Prozent in Deutschland) und der Zehntausenden, die jährlich durch den von ihn erzeugten Feinstaub, Verkehrslärm und bei Unfällen sterben, ist das Missverhältnis besonders augenfällig. Hinzu kommt die soziale Selektion: Wer es sich leisten kann, vermeidet den ÖPNV oft, während es sich Millionen von Hartz-IV-Empfängern und Geringverdienern kaum leisten können, für sich und ihre Familienangehörigen immer die notwendigen Tickets zu kaufen. So stellen sie denn auch den größten Teil der Gefängnisinsassen, die Strafen für Schwarzfahren absitzen müssen.