Spanien demonstriert gegen Räumungen
Die Zahl der Räumungen steigt, weil viele Familien ihre Kredite nicht mehr bezahlen können
Eigentlich haben die Betroffenen nichts zu feiern, die am Sonntag in mehr als 40 spanischen Städten auf die Straße gegangen sind. Trotzdem protestierten viele tausende Menschen in festlicher Stimmung selbst bei der großen Hitze im Land. Sie fordern Gesetzesänderungen und wollen Familien vor der Zwangsräumung schützen, die sie tief in die Misere stürzen. Genaue Zahlen, wie viele Wohnungen in der Krise geräumt wurden, gibt es nicht. Die Plattform der Hypothekenbetroffenen (PAH) schätzt, dass seit 2007 schon mehr als 300.000 Zwangsräumungen vollstreckt wurden.
Glück gehabt hat bisher Luis Domínguez Quintana. Am 16. Juni wurde versucht, den 75-Jährigen aus der Wohnung in Madrid zu werfen. Doch die "Empörten", die seit Mai in ganz Spanien protestieren, konnten die Räumung bisher verhindern. An der Demonstration in der spanischen Hauptstadt nahm Luis mehr als Zuschauer teil. Er ist behindert und kann nur mühsam an Krücken gehen, seit er von einem Lastwagen bei einem Unfall 1994 schwer verletzt wurde.
Den "Empörten" und der PAH ist Luis unendlich dankbar. "Sie haben mir das Leben gerettet", erklärt er. Er verfügt im Monat über 860 Euro und die in der Finanzkrise stark gestiegenen Hypothekenzinsen für seine Wohnung machten es ihm unmöglich, neben den steigenden Lebenshaltungskosten auch seine Hypothek zu bezahlen. Deshalb leitete die Bank das Räumungsverfahren ein. Nächtelang hatte er vor dem richterlich festgesetzten Termin aus Angst nicht geschlafen, einfach auf die Straße gesetzt zu werden. Verzweifelt begab er sich zum zentralen Platz in Madrid, wo auch aus Protest dagegen kampiert wurde, dass die einfache Bevölkerung für die Krise und die Exzesse der spanischen Immobilienblase zur Kasse gebeten wird. Er schilderte seine Situation - und mit bloßer Anwesenheit verhinderten zahlreiche Empörte die Räumung. Die "Solidarität unter Menschen" zurückzugewinnen, sei etwas sehr Bedeutendes in dieser Gesellschaft, resümiert Luis.
Für ihn und andere Betroffene, die sich in der PAH vereinigt haben, ist es eine schreiende Ungerechtigkeit, dass das Recht auf Wohnraum, das in Spanien in der Verfassung verankert ist, mit Füßen getreten wird. Luis hatte vor langer Zeit von der "Caja Madrid" einen Kredit erhalten. Die hatte ihm aber nicht auf die Gefahr hingewiesen, dass sich die Zinslast über die in Spanien üblichen variablen Zinsen in einer Krise schnell mehr als verdoppeln könnte. Seine Wohnung wurde für ihn, wie für viele anderen Menschen, unbezahlbar, weil an dem absurden System die Sozialisten (PSOE) nach ihrem Wahlsieg 2004 nicht gerüttelt haben.
Sie gehört nun der "Bankia". Das ist ein Zusammenschluss aus sieben in der Immobilienkrise gestrauchelten Sparkassen, die mit Steuermilliarden gestützt wurden und trotz allem den laschen Stresstest nur knapp bestanden haben. Viele halten es für absurd, dass Banken Steuergelder erhalten, aber gleichzeitig Menschen auf die Straße werfen lassen, weil sie ihre Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Ein zentrales Anliegen der Demonstrationen war es deshalb, auf die Volksinitiative (ILP) hinzuweisen, die nun auf dem parlamentarischen Weg ist.
Nach Monaten der Verzögerung hat der Kongress inzwischen diese Gesetzesinitiative angenommen, für welche die Betreiber nun 500.000 Unterschriften sammeln müssen. Das vorgeschlagene Gesetz sieht vor allem vor, dass die Schuld der Familien mit der Rückgabe der Wohnung an die Bank beglichen wird, wie es zum Beispiel in den USA der Fall ist. Luis Kredit beläuft sich noch auf 110.000 Euro. Nach derzeitiger Rechtslage bliebe er auf Schulden von 55.000 sitzen, wenn die Bank die Wohnung nach einer Räumung bei der Zwangsversteigerung nicht losschlagen kann, was derzeit meist der Fall ist. Er hätte also keine Wohnung mehr und säße zudem auf dem Schuldenberg.
Die Initiative fordert in ihrem Gesetz auch, dass eine "Sozialmiete" eingeführt wird. Um hohe soziale und ökonomische Kosten zu vermeiden, sollen die Familien in ihren Wohnungen bleiben, auch wenn sie die Hypotheken nicht mehr bezahlen können. Diese Miete dürfe nach der Gesetzesinitiative 30 Prozent des Familieneinkommens nicht überschreiten, erklärte Ada Colau, Sprecherin der PAH in Barcelona. Die Banken wehren sich dagegen, dass die Schuld mit der Abtretung der Wohnung beglichen sein soll. Sie argumentieren, dass damit neue Löcher in die Bilanzen den angeschlagenen Institute gerissen würden. Die PAH hält diese Argumentation für absurd, schließlich ist kaum davon auszugehen, dass Menschen wie Luis die Schulden jemals zurückbezahlen könnten. Diese Kredite sind ohnehin faul, auch wenn sie nicht als solche in den Bilanzen geführt werden. Doch auch so ist die Kreditausfallquote mit 7% erneut auf einen neuen Rekordwert gestiegen.