Spanien nach neun Monaten ohne Regierung vor Neuwahlen
Der konservative Rajoy ist auch im zweiten Wahlgang mit einer Regierungsbildung gescheitert
Die Entwicklungen in Spanien deuten derzeit darauf hin, dass das Land im Dezember zum dritten Mal in nur einem Jahr wählen muss. Nachdem sich der Sozialistenchef Pedro Sánchez im März eine blutige Nase geholt hat, als er gestützt auf die rechtsliberalen Ciudadanos (Bürger) eine Regierungsbildung versuchte, ging es dem konservativen Rajoy nun ebenso.
Nachdem er schon am Mittwoch die absolute Mehrheit bei der Vertrauensabstimmung im Parlament verfehlt hat, fiel Rajoy nun am späten Freitag im zweiten Wahlgang nun ebenfalls mit den Ciudadanos als Partnern durch. Dabei versuchte er in seiner Rede erneut, sich als "einzig möglichen" Regierungschef darzustellen. Es gäbe keine "Alternative" sagte er, um "Spanien auf den Weg der Normalität" nach neun Monaten ohne Regierung. Er warnte gleichzeitig vor "Extremismus", denn er weiß, dass es sehr wohl Alternative möglich wäre, wenn Sánchez die Initiative ergreifen und mit der linken Podemos (Wir können es) verhandeln würde.
Dieses Bündnis könnte auf Unterstützung auf Regionalparteien aus dem Baskenland, Katalonien, Galicien und Valencia setzen. Sie alle fürchten das Bündnis der postfaschistischen PP und der sehr spanisch-nationalistischen Ciudadanos. Joan Baldoví, Sprecher von Compromis aus Valencia, sprach von der geplanten "Rezentralisierung" gegen Autonomierechte und von einer "spanisch-nationalistischen Front". Gabriel Rufián erklärte für die Republikanische Linke Kataloniens (ERC), dass die Ciudadanos sich zwar an einer katalanischen Fahne an einem Balkon störten, aber nicht, dass noch immer Straßen und Plätze nach dem "Schlächter von Badajoz" benannt seien. Das sagte er mit Bezug auf den Putschgeneral Yagüe.
Klar ist, dass Rajoy gescheitert ist, die Sozialisten (PSOE) zu umgarnen, damit sie mit Enthaltungen seine Regierung ermöglichen. Er erhielt erneut sogar 180 Gegenstimmen, also wie am Mittwoch eine absolute Mehrheit, die sich gegen ihn stellt. Es half auch sein Hinweis nichts, dass die PSOE doch in zentralen Fragen mit der PP übereinstimme. Er erinnerte dabei auch an die eilige gemeinsame Verfassungsänderung, um auf Druck aus Berlin eine Schuldenbremse einzuführen. "Die PP und die PSOE sind unentbehrliche Partner in einer Ausnahmesituation", erklärte Rajoy und warb erneut für eine große Koalition wie in Deutschland oder in jedem anderen "zivilisierten Land".
Doch Sánchez lehnte dankend ab. Er erklärte, dass Rajoy bei der Mehrheit der Bevölkerung und der Parlamentarier kein "Vertrauen" mehr genieße. "Wie ist es möglich, dass Sie einst eine starke absolute Mehrheit bekamen und heute als der schlechteste Ministerpräsident bewertet werden?" Sánchez antwortete, dass er gegen alle Versprechen in vier Jahren die Steuern erhöht und den Sozialstaat massiv ausgehöhlt habe. Zudem habe Rajoy keinerlei "Verantwortung" für die Korruptionsskandale seiner PP übernommen, in die sogar persönlich verwickelt sein soll, wie Dokumente seines ehemaliges Schatzmeisters zeigen. Sánchez wies auch darauf hin, dass sogar die Ciudadanos ihm nicht vertrauten, sondern nur "für Spanien" mit Ja stimmen würden, um einen dritten Wahlgang zu verhindern.
Das Geschacher geht weiter, Ciudadanos bieten sich wieder PSOE als Alternative an
Da Sánchez zwar beteuerte, dass seine Partei die "Lösung" sei, war es der Podemos-Chef Pablo Iglesias, der ihn darauf hinwies, dass diese Lösung eine Regierung mit Podemos wäre. Und genau die "fürchtet" Rajoy. Iglesias forderte von Sánchez, er solle die Initiative in einem Land ergreifen, "das sich verändert hat" und in dem das Zweiparteiensystem beendet ist. Die PSOE müsse sich entscheiden: "Wahlen können nicht wiederholt werden, bis sie das Ergebnis erzielen, das Sie überzeugt." Die PSOE hatte sowohl im vergangenen Dezember als auch danach im Juni die historisch schlechtesten Ergebnisse eingefahren. "Wir sind die Alternative, nutzen Sie sie mit uns", erklärte Iglesias.
Ob Sánchez sich nun in den verbleibenden zwei Monaten zu Verhandlungen mit Podemos und Unterstützern aus dem Baskenland und Katalonien durchringt, ist zweifelhaft. Dagegen spricht auch die Initiative zu einer Gesetzesveränderung per Dekret, um zu verhindern, dass am 25. Dezember gewählt werden muss. Das ergäbe sich aus der geltenden Rechtslage, weil die PP darauf hoffte, damit den Druck auf die PSOE zu erhöhen. Doch inzwischen lenkt sie auch in der Frage ein, weil sie vermutet, dass dies zum Bumerang werden könnte und sie für diesen Schachzug abgestraft werden könnte.
Klar ist jedenfalls, dass bis zu den Regionalwahlen im Baskenland und Galicien am 25. September kaum etwas passieren wird. Erst danach besteht, je nach Ausgang, eine Chance, die dritten Wahlen zu verhindern, die sich abzeichnen. Für die christdemokratische Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) machte Aitor Esteban aber klar, dass die PNV auch nach dem Termin am Nein gegen Rajoy festhalten werden und daran auch Neuwahlen nichts ändern werden.
Sánchez hat zwar die Tür zu einer Alternative nicht komplett zugeschlagen, doch bisher hat er praktisch keine Schritte dahin unternommen. Die Ciudadanos wenden sich, weil sie wie die PP von Neuwahlen ausgehen, schon wieder von ihrem Bündnispartner PP ab und bringen sich für Neuwahlen in Position. Obwohl sich der 150-Punkte-Plan, wie eine Koalitionsvereinbarung liest und weit über eine Vereinbarung zur Regierungsbildung hinausging, sei der Pakt "beendet", wenn Rajoy scheitert. Das ist nun der Fall.
So schnell wie sich Ciudadanos im Frühjahr von der PSOE abgewendet hatten, wenden sie sich nun von der PP ab. Parteichef Albert Rivera bietet sich plötzlich wieder der PSOE als "Alternative" gegen Rajoy an, für den seine Partei am Mittwoch und am Freitag gestimmt hat. Es ist klar, dass die Nationalisten darauf abzielen, dass vielleicht die PP anders als im März dieses Bündnis durch Enthaltung als kleineres Übel an die Macht bringen könnte. Denn so könnte eine Linksregierung mit Unterstützung aus dem Baskenland und Katalonien und nervende dritte Wahlen verhindert werden. Eine Linksregierung könnte die Frage des Selbstbestimmungsrechts auf die Tagesordnung setzen, das Basken und Katalanen fordern und Podemos verteidigt. Und das ist eine der größten Ängste von PP und Ciudadanos.