Spanien untersucht nun Hochgeschwindigkeits-Rentabilität
Studien attestierten allen Strecken Unrentabilität, während fleißig weitergebaut wird, soll nun die Rentabilität geprüft werden
Am kommenden Sonntag wird der Vizeweltmeister bei Hochgeschwindigkeitsstrecken weitere 162 Kilometer einweihen, welche die spanische Hauptstadt Madrid mit den Provinzstädten Palencia und León verbinden. Es ist Vorwahlkampf vor den Parlamentswahlen im Dezember, deshalb übernimmt sogar der konservative Ministerpräsident Mariano Rajoy den Vorsitz des Festakts. Das Streckennetz der "Alta Velociad Española" verfügt dann über 3000 mehr als Kilometer, auf denen der "AVE", was "Vogel" bedeutet, sprichwörtlich unrentabel durchs Land fliegt.
Dass die neue Strecke einmal rentabel werden wird, ist kaum zu erwarten. Das hatte auch der spanische Rechnungshof schon im April kritisiert. Er verwies darauf, dass die staatliche Betreiberfirma eine Schuldenlast von mehr als neun Milliarden Euro angehäuft habe, die ab 2017 zurückgezahlt werden müssten. Passagierzahlen der Strecken seien "nicht ausreichend", um die Wartungskosten zu decken und die "ökonomische Tragfähigkeit zu garantieren". Aber die Regierung gab bekannt, dass in der nächsten Legislaturperiode weitere 800 Streckenkilometer gebaut werden sollen. Mit denen, die noch in diesem Jahr eingeweiht werden, käme das Land nahe an die Marke von 5000 Kilometern.
Schon 55 Milliarden Euro wurden in das Streckennetz gepumpt, in vier Jahren sollen weitere sechs Milliarden hinzukommen. Noch vor den Wahlen will die konservative Volkspartei (PP) eilig den Haushalt verabschieden, um im Fall des Machtverlusts einer neuen Regierung auch bei den AVE-Strecken die Hände zu binden. Jede neue Regierung dürfte die Schere am Ausbau ansetzen, da sie Defizitbringer für die Zukunft sind.
Alle Strecken sind in Spanien unrentabel. Das hatte eine umfassende Studie der spanischen Stiftung für angewandte Ökonomie (Fedea) im Frühjahr ergeben. Fedea fällte ein klares Urteil: "Weder für die Unternehmen noch für die Gesellschaft" rechneten sich die Hochgeschwindigkeitsstrecken. Nicht einmal die viel befahrenen Trassen zwischen der Hauptstadt und Barcelona sowie Madrid und Sevilla seien rentabel. Gemeint ist damit, dass nicht allein Betriebs- und Instandhaltungskosten eingefahren werden, sondern auch die hohen Investitionskosten.
Doch auch gesellschaftlich rechneten sie sich nicht, war das Ergebnis. Die Studie hatte indirekte Faktoren eingerechnet, um das zu beurteilen. Auch wenn Zeitersparnis, Stauvermeidung auf der Straße durch Umstieg vom Auto oder Flugzeug auf die Schiene eingerechnet würden, blieben sie gesellschaftlich unrentabel.
Trotz allem baut Spanien sein riesiges Netz weiter aus. Es ist weltweit das zweitgrößte Netz. Nur im ungleich größeren und bevölkerungsreicheren China ist es noch länger. Auf eine Million Bewohner in Spanien kamen schon bisher 54 Kilometer der teuren Strecken. Das ökonomisch deutlich stärkere Frankreich kommt nur auf gut die Hälfte (31). Das Land verfügt aber mit der Strecke Paris – Lyon über eine der wenigen Strecken weltweit, die rentabel sind.
Fedea hatte auch bemängelt, dass nie eine Rentabilitätsstudie erstellt worden sei. Das will das Ministerium für Infrastruktur nun nachholen, nachdem das Kind längst in den Brunnen gefallen ist und ständig tiefer fällt. Drei Millionen Euro sollen dafür ausgegeben werden.
Die AVE-Trassen waren trotz krisenbedingter Sparpläne stets ein Protagonist im Haushalt. Etwa zehn Milliarden Euro flossen in den letzten vier Jahren in den Trassenbau. Allein im Haushalt stehen 2015 fast 3,6 Milliarden Euro für neue Strecken. Während an Bildung, Gesundheit und Kultur wegen des hohen Haushaltsdefizits die Schere angesetzt wurde, bekamen die AVE-Strecken im Superwahljahr sogar eine Budgeterhöhung um 11,5 Prozent.
Es war klar, dass über verstärkte Bautätigkeit die extreme Arbeitslosigkeit abgebaut werden sollte. So meinte auch Fedea, dass vermutlich "politische" Interessen, die Befriedigung von Lokalpolitikern, Wählerstimmen … hinter dem Ausbau stehen, da "das Fehlen einer ökonomischen Begründung für diese Investitionen manifest" sei. Die Erfolge sind dennoch gering. Obwohl 2015 insgesamt etwa 1000 AVE-Kilometer fertiggestellt werden sollen, ist die Arbeitslosenquote noch immer bei 22 Prozent und wird nur von Griechenland übertroffen. Auch wenn immer neue Städte ans Netz angeschlossen werden, wurde die PP in fast allen Regionen bei den Regionalwahlen im Mai abgewählt und verlor auch bei den Kommunalwahlen bedeutende Städte, unter anderem die Hauptstadt Madrid.
Das Land wird aber lange massive Kosten zu tragen haben, die beim Bau der Strecken entstanden sind. Auch darüber ist die Staatsverschuldung auf fast 100 Prozent der Wirtschaftsleistung angeschwollen. Dazu kommt, dass Instandhaltung und Betrieb sehr teuer sind.
Zudem ist klar, dass das spanische AVE-Netz noch viele Jahre eine Insel bleiben wird. Portugal hat aus Spargründen den Bau der Verbindung von Lissabon nach Madrid auf Eis gelegt. Trotz allem wird in Spanien an der Strecke in die Provinzhauptstadt bis Badajoz (etwa 150.000 Einwohner) weitergebaut, die an der portugiesischen Grenze enden wird. Auch Frankreich will sein Hochgeschwindigkeitsnetz aus Spargründen bis 2030 weder am Mittelmeer noch am Atlantik mit dem spanischen Netz verbinden.