Spanien verurteilt Streikposten zu langen Haftstrafen
Immer öfter sind Streikende mit hohen Haftstrafen von bis zu acht Jahren Haft konfrontiert
Proteste in Spanien werden immer stärker kriminalisiert. Besonders richtet sich die Strafverfolgung in den letzten Jahren gegen Streikposten, weshalb die auch die großen Gewerkschaften längst davon sprechen, dass das Streikrecht ausgehebelt werden soll. Deshalb haben die Arbeiterkommissionen (CCOO) und die Arbeiterunion eine Kampagne gestartet: "Streik ist keinVergehen". Sie verweisen darauf, dass Verfahren gegen 200 Personen im Zusammenhang von Streiks laufen und diverse Haftstrafen schon ausgesprochen wurden. Betroffenen drohen Strafen zwischen zwei und acht Jahren. Dabei geht es oft um Vorgänge bei Generalstreiks gegen die Kürzungspolitik und Arbeitsmarktreformen. Die Staatsanwaltschaft, die der Regierung als Ministerium der Regierung direkt untersteht, wird dann besonders aktiv, weil sich die Streiks gegen die Politik der Regierung richten.
Am 18. September beginnt in Madrid das Verfahren in einem Fall, der für Schlagzeilen sorgte. Alfonso Fernández Ortega – meist Alfon genannt - war der einzige, der am 14. November 2012 in Spanien verhaftet wurde, als erstmals Spanien, Portugal und Griechenland gemeinsam bestreikt wurden und es auch zu einzelnen Streiks und Protesten in anderen EU-Ländern kam. Seine Freunde und Familie sind überzeugt, dass an Alfon ein Exempel über eine "Inszenierung der Polizei" statuiert werden soll. Seine Mutter Elena Ortega wird nicht müde, dies gegenüber der Presse und auf Veranstaltungen zu erklären, wie sie am Samstagabend im Berliner Mehringhof stattfinden wird.
Auffällig war, dass man ihn nicht wie üblich schnell wieder freiließ, sondern fast zwei Monate in Untersuchungshaft hielt. Ortega erklärt, ihr Sohn sei verhaftet worden, bevor er sich Streikposten anschließen konnte. "Er vermutete, dass wie bei vielen anderen nur sein Ausweis kontrolliert werden sollte, doch dann befragten sie ihn zu einem Rucksack, den sie in der Gegend fanden." Darin fanden sich Utensilien zum Bau von Molotow-Cocktails, weshalb ihm "Besitz von Explosivstoffen" vorgeworfen und eine Haftstrafe von fünfeinhalb Jahren gefordert wird.
"Er transportierte gar nichts", erklärt aber seine Mutter. Und sein Anwalt Erlantz Ibarrondo erklärt, dass seine Fingerabdrücke weder auf dem Rucksack noch auf den Utensilien gefunden wurden. Das hatte auch die Staatsanwaltschaft frühzeitig bestätigt, ihn aber trotzdem in Haft gehalten, obwohl auch bei Hausdurchsuchungen kein belastendes Material gefunden wurde. Zuzulassen, dass Alfon oder andere Angeklagte verurteilt werden, bedeute die "Normalisierung der Unterdrückung" zuzulassen, fürchtet eine breite Unterstützerplattform "Freiheit für Alfon".
Kein Einzelfall
Er ist tatsächlich kein Einzelfall. So steht das Verfahrengegen acht Airbus-Beschäftigte aus, denen wegen einer Auseinandersetzung in Getafe (bei Madrid) beim Generalstreik 2010 mit der Polizei sogar Haftstrafen von acht Jahren und drei Monaten drohen. Besonders ist bei Alfon nur, dass er nicht wegen "Nötigung" oder einem "Vergehen gegen Rechte der Arbeitenden" angeklagt wird. Denn immer öfter werden hohe Haftstrafen verhängt, wenn Streikposten in geöffnete Geschäfte oder Betriebe gehen, um Kollegen zum Streik aufzufordern oder den Betrieb zu behindern.
Zu drei Jahren Haft wurden im Frühjahr schon Carmen Bajo und Carlos Cano verurteilt. Die Mitglieder der Empörten-Bewegung waren Streikposten beim Generalstreik im März 2012 in Granada. Auffällig war hier auch, dass der 25-jährige Medizinstudent Cano trotz eines Widerspruchs gegen das Urteil sofort inhaftiert wurde. Erst danach wurde die Strafe ausgesetzt, bis das Urteil rechtskräftig wird. Das ist in solchen Fällen eigentlich üblich, eine Gerichtsentscheidung ist nicht nötig.
Wegen diesem Streik werden auch Haftstrafen zwischen 4,5 und 6,5 Jahren gegen 13 Mitglieder der kämpferischen Andalusischen Landarbeitergewerkschaft SAT gefordert. Ihr Generalsekretär Diego Cañamero verweist darauf, dass ihre Aktivitäten nicht nur darüber "abgewürgt" werden sollen, sondern auch immer höhere Geldstrafen verhängt würden. Fast eine Million Euro würden von der SAT schon gefordert. Dabei ist ein neues Gesetz noch nicht in Kraft, das "Knebelgesetz" genannt wird. Sogar die Richtervereinigung "Richter für Demokratie" sieht sich an die "Zeiten der Franco-Diktatur erinnert". Denn die Teilnahme an spontanen, nicht angemeldeten oder verbotenen Protesten soll administrativ mit Geldstrafen in Höhe von 600.000 Euro bestraft werden, sieht der Entwurf des "Gesetzes zum Schutz der Bürger" der regierenden konservative Volkspartei (PP) vor.
Dagegen wendet sich die gesamte Opposition. Linksparteien fordern auch, den Artikel zu streichen, über den Streikende kriminalisiert werden, damit das Streikrecht gewahrt wird. Die Initiative wird auch von den Sozialisten (PSOE) getragen. Die hatten in sieben Jahren an der Regierung bis 2011 daran nicht gekratzt. Das Gesetz, das nun zur Verurteilung benutzt wird, stammt zudem aus dem Jahr 1995, als die PSOE ebenfalls Spanien regierte.
Eine Abschaffung des Artikels und eine Begnadigung der Betroffen fordert auch der Richter Carlos Hugo Preciado Doménech. Das Mitglied des Obersten Gerichtshofs in Katalonien weist in einer Studie auf "überzogeneStrafen" gegen Streikposten hin. Die könnten wegen der Höhe nicht einmal zur Bewährung ausgesetzt werden, auch wenn Betroffene nicht vorbestraft sind, erklärt der Richter. Er stellt fest, dass man bei Vergewaltigung oder bei fahrlässiger Tötung meist mit niedrigeren Strafen davonkäme.