Spanien weist Deutschland Schuld für Turbulenzen zu

Das Land versucht, von seinen gravierenden hausgemachten Problemen abzulenken

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Derzeit kocht in Spanien zwar nicht die Volksseele hoch, dafür empören sich Regierungspolitiker über Berlin. Denn in Madrid ist vielen die Angst in die Knochen gefahren, als am Dienstag die Zinsen für spanische Staatsanleihen explodiert sind. Deshalb will man die Debatte um die zweite Griechenland-Nothilfe schnell beenden, koste es, was es wolle. Doch dazu ist die Bundesregierung nicht mehr bereit.

Dass die Bundeskanzlerin einem symbolischen Krisengipfel eine Absage erteilt hat, der für Freitag geplant war, führt zu drastischen Reaktionen in Spanien. Oberflächlich betrachtet, sind sie sogar nachvollziehbar, nachdem die Risikoaufschläge auf Zinsen für Staatsanleihen auf 383 Basispunkte über Bundesanleihen gestiegen sind. Der Aufschlag betrug fast vier Prozent, womit die Zinsmarke von sieben Prozent in greifbare Nähe rückte, ab der die Refinanzierung zu teuer wird und Griechenland, Irland und Portugal den Nothilfeantrag stellen mussten.

Doch statt sich mit den gravierenden Probleme zu Hause zu beschäftigen, versucht Madrid abzulenken und macht Deutschland für die Lage verantwortlich. So mahnte Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero, "besonders die mächtigen Länder" der Eurozone müssten ihrer "klaren Verantwortung" gerecht werden, um den Turbulenzen an den Finanzmärkten Einhalt zu gebieten. Angesichts der "gravierenden Situation", der "Reichweite, Ursprung und Dimension" der Schuldenkrise, die auch das große Italien erfasst, forderte er eine "klare und schnelle" Antwort für die zweite Griechenland-Nothilfe. Was er genau wollte, blieb aber unklar.

Seine Vertreterin, Finanzministerin Elena Salgado, ist nun deutlicher geworden. Es ist erstaunlich, dass die Sozialisten verhindern wollen, dass Banken, Versicherungen und Rentenfonds an der neuen Nothilfe beteiligt werden, wie es Finanzminister Wolfgang Schäuble fordert. Gegenüber der Süddeutschen Zeitung sagte sie am Donnerstag, das sei "keine gute Idee". Salgado ist entsetzt, dass sich sogar die Position durchsetzt, an einem Schuldenschnitt führe kein Weg vorbei und eine geordnete Zahlungsunfähigkeit Griechenlands wäre zu verkraften. Zuletzt hatte eine teilweise Entschuldung auch der Wirtschaftswissenschaftler Max Otte genauso gefordert wie der Commerzbank-Chef Martin Blessing . Sie sei "völlig gegenteiliger Meinung", sagte Salgado. "Es muss alles getan werden, um so etwas zu vermeiden."

Argumente führt sie nicht an, meint aber, die Hängepartie reiße Spanien und Italien mit in den Krisenstrudel . "In keinem der beiden Länder war etwas passiert", so weist sie auf eine "systemische Krise" als Ursache. Dabei sind die spanischen Zinsen mit jedem neuen Nothilfeantrag und jeder Debatte in den letzten 18 Monaten immer weiter angestiegen. Erstmals musste Spanien Ende Juni sogar 6% Zinsen bieten, obwohl es Griechenland gelungen war, sein umstrittenes Sparpaket durch das Parlament zu peitschen, was allgemein für Erleichterung sorgte.

Ohnehin "passiert", dass beide Länder nicht aus der Krise kommen und die Wirtschaft sowohl in Italien und Spanien stagniert. Sparprogramme drohen sie zudem zurück in die Rezession zu drücken, wie schon Griechenland und Portugal. Während Spanien mit abstürzenden Banken, der EU-Rekordarbeitslosigkeit von 21 Prozent und enormen Problemen bei Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität zu kämpfen hat, ist es in Italien die extreme Verschuldung die zudem große Sorgen bereitet.

Wie Italien die angestauten Staatsschulden zurückzahlen will (120 Prozent der Wirtschaftsleistung), wird immer unklarer. In beiden Ländern sorgen auch latente Regierungskrisen für weitere Unruhe, weil die Wähler den Regierungen längst Rote Karten gezeigt haben. Madrid setzt aber weiter auf das Prinzip Hoffnung und will immer neue Milliarden für Pleitekandidaten locker machen, bis sich die Lage irgendwie verbessert. Dabei wachsen die Schuldenberge und die Zinslasten werden immer drückender. Mit neuen 120 Milliarden Euro für Griechenland würde man nur teuer die Ruhe vor dem nächsten Sturm erkaufen. Schon bald würde der Sturm an Debatten über neue Nothilfepakete für Portugal und Irland noch stärker aufbrausen. Ein Blick auf astronomische Zinssätze, zu denen deren Staatsanleihen gehandelt werden, macht deutlich, dass auch sie nicht bald an die Kapitalmärkte zurückkehren können. Erneut würden etwa 200 Milliarden Euro fällig, um private Gläubiger weiter herauszuhalten und um weiter ihre Zinsforderungen aus Steuergeldern bezahlen zu können.

Schon Albert Einstein hatte als "Wahnsinn" definiert, "immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten". Es ist also verständlich, dass die Bundesregierung erst an einem EU-Gipfel teilnehmen will, wenn alle Details geklärt sind und auch Entscheidungen getroffen werden können. Zu hoffen ist, dass dabei eine Entschuldung für Griechenland als Modell für andere Länder unter Beteiligung derer umgesetzt wird, die zwar an Risikoaufschlägen gut verdienen, aber den damit verbundenen möglichen Ausfall von der Allgemeinheit abgesichert haben wollen. Nachdem die bisherigen Fehler tief in den Schlammassel geführt haben, muss nun der Gang Spaniens unter den Rettungsschirm in Kauf genommen werden, um einen Absturz Italiens verhindern zu können. Nach Ansicht vieler Experten ist Spanien ohnehin nicht zu retten. Wurschtelt Europa weiter wie bisher, dann stürzt nach Spanien wohl auch Italien ab. Das wäre wohl das Ende der Eurozone.