Spaniens Konservative entdecken soziale Ader
Die Regierung ließ das Sozialgeld erst auslaufen, verlängert es nun vor vorgezogenen Neuwahlen plötzlich rückwirkend
Als sich die spanische Regierung in den Urlaub verabschiedete, wies die Opposition darauf hin, dass am 18. Juli das Sozialgeld auslaufen würde, ohne dass etwas geschah. So schien auch die Hilfe zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt der Sparpolitik der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy zum Opfer zu fallen. Überraschend kündigte die Arbeitsministerin Fátima Báñez aber am Montag an, die Maßnahme werde auf der Kabinettsitzung am Freitag rückwirkend verlängert. Beobachtern drängt sich der Eindruck auf, dass die Ankündigung der baskischen Regierung wenige Stunden zuvor, die Wahlen im Baskenland auf den 21. Oktober vorzuziehen, der Grund für den Schwenk war.
Erwartet wird, dass auch die Region Galicien, aus der Ministerpräsident Rajoy stammt, nun die Wahlen vorzieht. Regierungschef Alberto Núñez Feijoo hat noch vier Tage Zeit, um sie wie 2009 erneut mit den baskischen Regionalwahlen zusammenfallen zu lassen. Dafür spricht der Schwenk der Volkspartei (PP) beim Sozialgeld. Dafür spricht auch, dass sich im Tourismussommer die Lage am Arbeitsmarkt ein wenig verbesserte. Die extreme Arbeitslosigkeit von knapp 25 Prozent dürfte im Herbst und Winter aber wieder stark steigen, da die befristeten Stellen auslaufen und wegen der Sparpolitik massiv Jobs im öffentlichen Dienst gestrichen werden.
Da das Sozialgeld stets halbjährlich verlängert wird, wäre der Effekt weg, wählt Galicien erst im kommenden März. Dass Rajoy es angesichts des Spardrucks erneut verlängert, wird nicht erwartet, wenn er es schon im August auslaufen lassen wollte. Zudem wird erwartet, dass Spanien das mit der EU-Kommission vereinbarte Defizitziel 2012 erneut verfehlt, obwohl es in zwei Schritten schon auf 6,3 Prozent angehoben wurde. Der Druck, auch noch das Sozialgeld zu streichen, wächst damit.
In der Krise wurde diese Hilfe von den sozialistischen Vorgängern eingeführt, im Februar verlängerte sie die PP nach ihrem Wahlsieg im vergangenen November. Gezahlt wird das Geld nur für sechs Monate, wenn ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erlischt. Die Arbeitsministerin kündigte sogar eine Erhöhung an. Wenn ein Bezieher mindestens zwei Kinder unterhält, soll es auf 450 Euro monatlich steigen. Damit Gesamtausgaben nicht steigen, fällt ein eventueller Anspruch auf 400 Euro der im Haushalt lebenden Kinder weg.
Die PP hat vor den wichtigen Wahlen plötzlich ihr soziales Gewissen wieder entdeckt, mit dem sie im vergangenen Herbst Wahlkampf machte und die Parlamentswahlen gewann. "Die Regierung will klarstellen, dass es wichtig ist, dass niemand ungeschützt bleibt, der Schutz wirklich braucht", sagte die Arbeitsministerin. Ob der PP erneut geglaubt wird, darf bezweifelt werden. Den sie hat gegen alle Versprechen Steuern erhöht, Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt, Milliarden in marode Banken gesteckt und harte Einschnitten am Bildungs- und Gesundheitssystem vorgenommen. Ohnehin erhalten zwei Millionen Arbeitslose längst keinerlei Unterstützung mehr, weil alle Hilfen ausgelaufen sind und es keine Sozialhilfe gibt.
Für die PP steht viel auf dem Spiel, weshalb sie nun Wahlkampfgeschenke verteilt. In Galicien droht ihr, angesichts des Widerstands gegen ihre Politik, erneut ein Machtverlust. Jahrzehnte hatte der Parteigründer Manuel Fraga Iribarne die Hochburg regiert. Der ehemalige Minister der Franco-Diktatur verlor aber die Wahlen 2005. Zwar konnte Feijoo die Region für die PP 2009 zurückerobern, doch erneut könnten die Linke und galicische Nationalisten die Heimat von Rajoy entreißen. Das würde ihn besonders treffen.
Im Baskenland droht Rajoy ohnehin ein Debakel. Gegen den Trend in ganz Spanien hatte die PP hier im vergangenen November weiter Zustimmung verloren. Die Basken, die wegen ihrer Autonomie eine eigene Politik machen konnten, kommen deshalb viel besser durch die Krise. Die Arbeitslosigkeit ist nur gut halb so hoch wie im spanischen Durchschnitt und die Verschuldung ist ebenfalls deutlich niedriger. Dass Madrid die Krise nutzt, um über nationale Gesetze die Autonomierechte auszuhebeln, und versucht, den erfolgreicheren Basken Vorschriften zu machen, hat schon zu verschiedenen Verfassungsklagen und zu viel Widerstand geführt. Am 26. September kommt es zum nächsten baskischen Generalstreik.
Vom massiven Unmut profitiert auch die linke Unabhängigkeitsbewegung. Sie kann in der Koalition "EH Bildu" (Baskenland sammeln) nun antreten, weil Verbote aufgehoben wurden. Erwartet wird, dass EH Bildu mindestens zur zweitstärksten Kraft wird. Ausgeschlossen wird nicht, dass die Linke sogar zur stärksten Kraft wird und die große Baskisch-Nationalistischen Partei (PNV) erstmals überflügelt. Es beunruhigt die Regierung "sehr stark", dass die Unabhängigkeitsbewegung die Wahlen gewinnen könnte, gab die Regierungssprecherin Soraya Sáenz de Santamaría am Dienstag zu. Die baskische Linke regiert mit dem Seebad Donostia-San Sebastian und der Region Gipuzkoa schon zwei bedeutsame Teile, hier ist die Arbeitslosigkeit so niedrig wie sonst nirgends im Land.