Spritpreis: Viel Lärm um ziemlich wenig
Wenn Grüne über den Spritpreis sprechen, reagieren Journalisten und Politiker anderer Parteien wie Pawlowsche Hunde. Ein Kommentar (mit Korrektur)
Gibt es eigentlich nicht genug Themen, über die man sich aufregen könnte? Vielleicht das absolute Versagen des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn in der Pandemiebekämpfung? Über ein Jahr brauchte er nach Ausbruch, um auf die Idee zu kommen, jetzt endlich mal deutlich mehr testen zu lassen. Nur um daraus eine marktradikale Einladung zu Betrug und Abzocke zu machen.
Oder die Bereicherung von Abgeordneten mit Masken-Deals? Oder die skandalösen, in Coronazeiten nicht selten tödlichen Arbeitsbedingungen entrechteter Arbeiter in Landwirtschaft und Fleischindustrie? Oder die viel zu niedrige personelle Ausstattung von Krankenhäusern, deren Betrieb auch in der Pandemie weiter vor allem nur den einen Zweck hat: Gewinne zu machen?
Oder die rund 250 Gesundheitsarbeiterinnen und -gesundheitsarbeiter, die an der Pandemie gestorben sind, weil die Regierung es nicht für nötig hielt, Vorsorge zu betreiben, rechtzeitig Schutzkleidung zu besorgen, Katastrophenschutzpläne auszuarbeiten und die seit rund 20 Jahren oder länger immer wieder geäußerten Warnungen der Fachwelt vor globalen Pandemien ernst zu nehmen?
Oder dass ein Verkehrsminister, der 700 Millionen Euro in einem Maut-Desaster versenkt, und ein Gesundheitsminister, der für eine Milliarde Euro unbrauchbare Masken eingekauft hatte, beauftragt werden, Testzentren aus dem Boden zu stampfen, die sich dann – oh wunder – in Gelddruckmaschinen für Menschen mit genug krimineller Energie verwandeln, weil die beiden Katastrophen-Experten es versäumt hatten, auch nur ein einziges essenzielles Kontrollelement einzubauen?
Nein, nein. Natürlich nicht. Deutschland regt sich über 16 Cent auf - über 16 Cent, die eigentlich nicht einmal acht Cent sind. Die Kanzlerkandidatin der Grünen Annalena Baerbock hatte gefordert, den Preis für Benzin und Diesel schrittweise um 16 Cent anzuheben, von denen ihr Ko-Vorsitzender Robert Habeck kurz zuvor gesprochen hatte. Als er gerade mal nicht zum Fotoshooting in der Ukraine war, um zur Befeuerung des dortigen Bürgerkriegs mit Waffenlieferungen aufzurufen.
Lieblings-Aufreger
Letzteres war den meisten jedoch nicht viel mehr als eine Randnotiz wert. Stattdessen stürzte sich alles auf den Lieblings-Aufreger Spritpreis. Den zu erhöhen sei bei den Deutschen "extrem unbeliebt", stellte der Spiegel fest. Und die in ihrer Linkspartei umstrittene und meist durch energiepolitische Ahnungslosigkeit glänzende Sahra Wagenknecht ließ wissen, dass Baerbock da eine "unsoziale und armselige Alibipolitik" betreibe.
Der hessische Bundestagsabgeordnete Sören Bartol von der SPD hatte immerhin verstanden, dass die Grünen lediglich fordern, was SPD und Union bereits 2019 in ein Gesetz gegossen haben. Nur, dass die Grünen eine etwas stärkere Bepreisung der Emissionen wollen. Seit Anfang des Jahres kostet es nämlich auch für Autofahrer Geld, CO2 in die Luft zu blasen, und zwar zehn Euro pro Tonne. Bis 2025 wird dieser Preis auf 35 Euro steigen.*
Da Bartol aber ebenso wie die Politikerinnen und Politiker der Linkspartei an einem Abgrenzungszwang zu leiden scheint, findet er die Grünen gefährlich unsozial. Der Grund: Die Grünen fordern ab 2025 statt 35 60 Euro pro Tonne CO2-Emissionen. So gehe kein Klimaschutz, meint dagegen Bartol.
Mit Letzterem hat er sogar recht, aber eher, weil auch 60 Euro pro emittierter Tonne noch lange nicht genug Anreiz sein werden, auf einen Pkw mit Verbrennungsmotor zu verzichten. Schon gar nicht, wenn es sich ohnehin um einen Dienstwagen handelt, für dessen Unkosten man nicht aufkommt oder sie zumindest von der Steuer absetzen kann.
Die Zahlen
Aber unsozial? Nun ist es nicht so, dass man sagen könnte, die Hartz-IV-Partei, der von der anderen Hartz-IV-Partei unsoziale Politik vorgeworfen wird, habe einen Nobelpreis für soziale Gerechtigkeit verdient. Aber lassen wir doch mal die Kirche im Dorf und schauen uns die nackten Zahlen an:
Bei der Verbrennung von einem Liter Benzin entstehen 2,3 Kilogramm CO2. Bei Diesel sind es 2,6 Kilogramm. Das bedeutet, dass bei einem sehr üppigen Verbrauch von zehn Liter pro hundert Kilometer im Falle von Benzin 0,023 und im Falle von Diesel 0,026 Tonnen CO2 auf hundert Kilometer emittiert werden.
Der SPD-Politiker findet es nun fürchterlich verwerflich von den Grünen, die Emissionen um 25 Euro pro Tonne verteuern zu wollen. Konkret würde diese Verteuerung für eine 100-Kilometer Fahrt im mit zehn Liter viel mehr als nötig verbrauchenden Verbrenner um 0,58 bis 0,65 Euro teurer machen. Und das findet der SPD-Politiker fürchterlich unsozial?
Der Streit geht also darum – um es anders auszudrücken –, ob es auf einen Liter Benzin ab 2025 einen Klimaaufschlag von 8,1 Cent (Diesel 9,1 Cent) geben soll, wie es ein 2019 von SPD und Union verabschiedetes Gesetz vorsieht. Oder ob der Aufschlag eher 13,8 bzw. 15,6 Cent betragen soll. Darum also die ganze Aufregung. Um 5,7 bis 6,5 Cent pro Liter Kraftstoff.
Vollkommen unbeachtet bleibt dabei zudem, dass das Gesetz über die Pendlerpauschale eine Kompensation für Pendler vorsieht, die in den ersten Jahren sogar noch höher als die Mehrkosten ausfallen wird. Das ist im gleichen Gesetz geregelt, wird natürlich mal wieder die Wohlhabenderen bevorzugen und wurde weder von Wagenknecht noch von Bartol noch von Baerbock infrage gestellt.
Fazit
Unterm Strich bleibt: Alles viel heiße Luft und Scheingefechte, die wenig mit Klimaschutz zu tun haben. Die Kraftstoffverteuerung bewegt sich auch beim Vorschlag der Grünen noch im Rahmen der Preisschwankungen der letzten beiden Jahrzehnte. Die Autofahrer werden sie vermutlich zunächst vollmundig beklagen und dann sehr schnell vergessen. Die notwendige Wende in der Verkehrspolitik werden sie nicht herbeiführen.
Dafür müsste der Gesetzgeber schon ordnungspolitisch eingreifen, den ÖPNV spürbar verbessern, Finanzmittel vom Autobahnbau zur Schiene umlenken, die Privilegierung des Autos auf den Straßen beenden, Kerosin und Flughäfen besteuern, Dienstwagenprivileg abschaffen, den Kommunen mehr Spielraum in Sachen Tempolimits und ähnlichem einräumen, sichere Fahrradwege schaffen, der Verkehrssicherheit für Fußgänger und Fahrradfahrer eine weitaus höhere Priorität einräumen und manches mehr. Alles Dinge, die bereits seit 40 Jahren oder mehr diskutiert werden.
* Es ist alles noch absurder. Ich habe alte Zahlen verwendet, die noch aus der Diskussion des Gesetzes stammten. Ein Leser wies darauf hin, dass im Gesetz höhere Preise stehen (§10(2)) demnach kostet ab 1. Januar 21 die Tonne CO2 bereits 25 Euro und wird 2025 55 Euro kosten. Baerbocks Forderung liefe also im Wesentlichen lediglich darauf hinaus, dieses Gesetz umzusetzen.