Staatsanwalt: Vorwürfe gegen Dilma Rousseff in Brasilien nicht justitiabel
Jurist empfiehlt Einstellung von Verfahren. Staatsanwaltschaft kann Votum übergehen. Rousseff für maximal 180 Tage suspendiert
In Brasilien hat ein Staatsanwalt ausgeschlossen, dass es sich bei den Vorwürfen gegen die suspendierte Präsidentin Dilma Rousseff um justiziable Delikte handelt, die vor einem ordentlichen Gericht zu einer Verurteilung führen würden. Der Jurist trat damit der Mehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat entgegen, die Rousseff vor wenigen Wochen für maximal 180 Tage ihres Amtes enthoben hatte.
Mitte Mai hatte der Senat nach einer über 20 Stunden währenden Debatte mit 55 zu 22 Stimmen für die Suspendierung Rousseffs gestimmt und damit den Weg für ein Amtsenthebungsverfahren freigemacht. Dieses Verfahren wird nicht, wie oft fälschlich berichtet, mit Korruption begründet, sondern mit Regelverstößen beim Umgang mit Staatsgeldern. Rousseff und hochrangige Juristen verweisen darauf, dass auch vorherige Regierungen in ähnlicher Weise in den Haushalt eingegriffen haben, die suspendierte Präsidentin spricht daher von einem Staatsstreich. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass Rousseffs Gegner sie gestürzt haben, um selbst Korruptionsermittlungen zu entgehen (Brasiliens korrupte Bonzen setzen zum Putsch an).
Nach Prüfung des Sachverhalts hat der mit der Prüfung beauftragte Staatsanwalt Cláudio Marx nun die Einstellung des Verfahrens beantragt. Seine Vorgesetzten können die Empfehlung aber übergehen und den Fall der Generalstaatsanwaltschaft übergeben, damit sie die Ermittlungen fortführt.
Rousseff wird vorgeworfen, in den Jahren 2014 und 2015 unzulässiger Weise in den Staatshaushalt eingegriffen zu haben. So sollen Zahlungen an mehrere staatliche Banken und einen Agrarsubventionsfonds zurückgehalten worden sein. Rousseffs Gegner interpretieren diese Handlungen als Erschleichen von Krediten. Dieser Einschätzung trat Staatsanwalt Marx nun entgegen, auch wenn er konstatierte, dass Rousseff mit den strittigen finanzpolitischen Maßnahmen "die Haushaltslage in Wahlkampfzeiten künstlich verbessert hat". Dies sei als "Machtmissbrauch" und "unredlicher Regierungsführung" zu verurteilen. Dessen ungeachtet empfahl der Staatsanwalt, auch andere Anklagen gegen Rousseff wegen mutmaßlicher Haushaltsmanipulationen fallen zu lassen. Dabei geht es um Gelder für ein staatliches Wohnungsbauprogramm.
Nach bisherigen Erkenntnissen hat die Regierung Rousseff systematisch Zahlungen an die staatlichen Kreditinstitute Banco do Brasil, Caixa Económica Federal und die Entwicklungsbank BNDES verzögert, um im Wahljahr Ressourcen für laufende Sozialprogramme zur Verfügung zu haben. Nach ihrer Suspendierung hat der bisherige Vizepräsident Michel Temer das Amt übernommen. Das Amtsenthebungsverfahren gegen Rousseff wird allerdings nicht von der Staatsanwaltschaft entschieden, sondern vom Senat. Dort wird eine Kommission am 2. August eine eigene Einschätzung vorlegen, über den am 9. August abgestimmt werden wird. Wenn 41 der 81 Senatoren der Absetzung Rousseffs zustimmen, wird der Oberste Gerichtshof eine weitere Abstimmung des Senats anberaumen. Wenn dann 54 Senatoren zustimmen – zwei Drittel –, wird Rousseff endgültig ihr Mandat verlieren. Temer würde dann das Mandat bis zum 1. Januar 2019 behalten.