Sturmglocken läuten im Elsass gegen Zwangsfusion
Nach Willen des Sozialisten François Hollande soll es ab 2016 nur noch 13 statt 22 Regionen geben, womit die Teilautonomie des Elsass abgeschafft wird
In zahlreichen elsässischen Gemeinden läuteten am vergangenen Dienstag Sturmglocken und Sirenen, um vor der geplanten Abstimmung in der Nationalversammlung am Mittwoch zu warnen. Damit wurde erneut gegen die Zwangsfusion des Elsass mit Lothringen und der Champagne-Ardennes protestiert. Doch das änderte nichts mehr daran, dass die Gebietsreform im fernen Paris mit 95 Stimmen gegen 56 dann doch beschlossen wurde, die praktisch die Auflösung des Elsass vorsieht.
Doch dagegen gibt es am Rhein heftigen Widerstand. Das zeigt sich auch daran, dass unter den 11 Parlamentariern, die sich ihrer Stimme enthielten, auch zwei Parteigänger von Staatspräsident François Hollandes Sozialistischer Partei (PS) aus dem elsässischen Straßburg waren, die somit ihrem Chef die Zustimmung verweigerten. Gegen die Zwangsfusion stimmten auch alle Abgeordneten der konservativen UMP.
Deren Abgeordnete Patrick Hetzel verwies darauf, dass 96% der elsässischen Landtagsabgeordneten und Bezirksräte im Herbst gegen diese Zwangsfusion gestimmt hätten. Sie hätten vielmehr die Gründung eines Elsässischen Landrats mit einer echten Autonomie für die Region votiert. "Verachtung des Elsass" warf der UMP-Parlamentarier Eric Straumann dann Hollande vor. Die Elsässer würden sich daran noch erinnern, kündigte er vor kommenden Wahlen den Sozialisten in der Region ein Debakel an.
Nur Scheinriesen durch die Super-Regionen
Gegen Hollandes neue "Super-Regionen" laufen vor allem die Elsässer Sturm. Milliarden sollen angeblich mit der Gebietsreform eingespart werden. Doch die Regierung hat nicht einmal versucht, die angeblichen Einsparungen zu beziffern. Konkret wird die Neustrukturierung aber zunächst viel Geld verschlingen. Hollande argumentiert, danach könnten die neuen Großregionen auch mit deutschen Bundesländern mithalten. Er vergisst dabei aber, dass die eine große finanzielle und kulturelle Eigenständigkeit haben.
Denn finanziell bleiben die 13 neuen Regionen nur Scheinriesen. Während das benachbarte Baden-Württemberg auf der anderen Rheinseite je Einwohner mit 4.000 Euro rechnen kann, sind es im Elsass gerade 400 Euro. Denn das zentralistische Frankreich lässt den Regionen finanziell bisher kaum einen Spielraum. Und daran soll auch die Reform nichts ändern.
Dafür will Hollande den Regionen sogar weitere Kompetenzen in Bereichen Verkehr und Schule entziehen. Die teure Sozialhilfe sollen sie aber auch zukünftig stemmen. Eigentlich hatte Hollande sogar vor, das gesamte Land neu zu ordnen. Deshalb wollte er die 101 Departemente komplett auflösen. Dafür hatte er aber die Verfassung ändern müssen, wofür er keine Mehrheit hat.
Riesling mit dem Champagner vermischen
Immer wieder kam es in den vergangenen Wochen im Elsass zu großen Demonstrationen. Die bisher größte fand im vergangen Oktober in Straßburg statt. Dort demonstrierten am vergangenen Samstag nach Angaben der Veranstalter erneut 8.000 Menschen gegen die ungeliebte "Zwangsheirat" und forderten ein Referendum.
Die Aktion hatte die linksgrüne Regionalpartei "Unser Land" organisiert. Sie artikuliert, dass es kaum jemanden im Elsass gefällt, den "Riesling mit dem Champagner zu vermischen". Stattdessen wird "Elsass frei", die Zusammenlegung der beiden elsässischen Departements Niederrhein und Oberrhein zu einer Verwaltungseinheit und die Schließung des uralten Kernkraftwerk Fessenheim gefordert, des ältesten Atomkraftwerks in Frankreich.
Mit anderen linken baskischen, katalanischen, bretonischen, korsischen Regionalparteien fordert Unser Land, die erst 2010 gegründet wurde, eine weitgehende Autonomie für das Elsass und insgesamt eine Regionalisierung Frankreichs, statt einer weiteren Zentralisierung.
Im Elsass ist man entsetzt darüber, dass Hollande die Teilautonomie, die erst 1982 gewährt wurde, 2016 nun wieder schleifen will. Die knapp zwei Millionen Elsässer wollen nicht mit den beiden Regionen zu einer Super-Region mit insgesamt 5,5 Millionen Einwohnern vereinigt werden, in denen ihre Sprache und kulturellen Eigenheiten noch stärker unter Druck geraten. Die Elsässer wollen, wie Korsika, die Normandie oder die Bretagne ebenfalls ihre Eigenständigkeit behalten und weiter ausbauen.
Dass die Franche-Comté (Jura) und Burgund freiwillig fusionierten, was Hollande gerne beispielhaft anführt, sei deren Sache und mit dem Elsass nicht vergleichbar, argumentieren sie.
Hoffen auf Scheitern der Regierung
Obwohl die Nationalversammlung nun beschlossen hat, am Reißbrett das Land neu zu ordnen, gehen viele Elsässer davon aus, dass die Gebietsreform eines abstürzenden Hollande noch gekippt werden kann. Parlamentswahlen stehen zwar erst 2017 an, doch niemand schließt aus, dass die Regierung frühzeitig an den vielen eigenen Widersprüchen scheitert.
Zuletzt musste sie im März eine fatale Schlappe bei den Kommunalwahlen hinnehmen, was zur Umbildung der Regierung und zur Ernennung von Manuel Valls zum Regierungschef führte.
Elsässer wie Michel Schulz warnen aber davor, auf die UMP von Nicolas Sarkozy zu setzen. Der Angestellte aus Schlettstàdt (franz. Sélestat) verweist darauf, dass auch die UMP sehr zentralistisch sei und trotz aller Versprechen kaum die Gebietsreform rückgängig machen werde.
"Sie benutzt die Frage nur", erklärt Schulz gegenüber Telepolis, "um die Sozialisten anzugreifen". Sarkozy und die UMP stünden wahrlich nicht für eine Dezentralisierung und die Stärkung von Minderheitenrechten, fügte er an. Er setzt deshalb auf eine linke Alternative und sympathisiert mit Unser Land. Als Vorbilder sieht er starke Unabhängigkeitsbewegungen in Schottland, Katalonien oder dem Baskenland.
Er steht damit nicht allein. Karl Goschescheck, Herausgeber von Hytt Morje (Heute Morgen), dankt auch Premierminister Valls für Reformen dieser Art. Vielleicht fusioniere man ja bald auch mit Baden-Württemberg und der Schweiz, schreibt er sarkastisch in einem Kommentar. Auch er verweist auf Katalonien, woher Valls ursprünglich stammt. Auf Katalanisch will er ihm den Dank aber nicht aussprechen, um ihn "nicht vor den Kopf zu stoßen".
Schließlich gäbe es nach der Lesart von Valls und seinen ultrakonservativen spanischen Freunden kein "katalanisches Volk, sondern nur ein spanisches Volk" in einem "Königreich, das ja unzertrennlich ist". Deshalb bedankt er sich mit "Gracias Señor Valls!" lieber auf Spanisch. Auch er geht davon aus, dass durch derlei Reformen von Hollande und Valls auch Elsässer dazu getrieben würden, "die Anerkennung des elsässischen Volks" wieder zu verlangen.