TTIP in die Tonne?
Der Widerstand gegen die Transatlantische Freihandelszone weitet sich aus, allerdings spielt dabei auch die Konkurrenz zwischen EU und USA eine Rolle
In der letzten Zeit war es um die globalisierungskritische Organisation Attac ruhig geworden. Das hatte viele Gründe, aber dazu gehörte auch das Problem, das zentrale Forderungen zur Bankenregulierung mittlerweile in den Forderungskatalog verschiedener Parteien aufgenommen worden sind. Doch in letzter Zeit werden Attac-Ortsgruppen wieder aktiv. Der Grund heißt TTIP.
Das geplante Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU mobilisiert verständlicherweise die Globalisierungskritiker, sowie vor 15 Jahren das Multilaterale Investitionsabkommen mit zur Entstehung von Attac beigetragen hat.
Mit Kampagnen wie "TTIP in die Tonne" oder "TTIP unfairhandelbar" setzt Attac auf die Strategie, vermeintliche Auswüchse des Kapitalismus zu kritisieren und faire Tauschverhältnisse anzumahnen.
Aktionstag gegen TTIP
Wie vor 15 Jahren gegen das MAI probt die globalisierungskritische Bewegung jetzt auch beim TTIP einen länderübergreifenden Zusammenschluss . Bei einem Treffen in Brüssel, auf dem über 100 Nichtregierungsorganisationen vertreten waren, wurde der 10.Oktober als internationaler Aktionstag gegen das TTIP festgelegt.
Schon seit einigen Wochen gibt es ein von zahlreichen TTIP-Gegnern erarbeitetes Positionspapier. Der Widerstand gegen das TTIP wächst auch deshalb, weil es gelungen ist, eine Verbindung zu dem vor allem in Deutschland äußerst unbeliebten Fracking herzustellen. Kritiker befürchten, dass US-Konzerne nach dem Abschluss des TTIP gegen europäische Gesetze, die Fracking behindern, juristisch vorgehen könnten.
So berechtigt diese Befürchtungen sind, so auffallend ist, dass die Rolle maßgeblicher EU-Konzerne und Politiker ausgeblendet wird. Die erhoffen sich durch das TTIP Zugang zum US-Fracking-Markt und wollen damit die umweltfreundlicheren europäischen Bestimmungen aushebeln. Es ist allerdings durchaus kein Zufall, dass die TTIP-Gegner oft den Eindruck erwecken, das Freihandelsabkommen wäre ein Trick der USA, um Europa zu unterwerfen.
Da wird eine Dualität gezeichnet, die dem EU-Europa den auf den Gebieten von Wirtschaft, Politik und Kultur zivilisierten Standard zuschreibt, der jetzt durch den Angriff der USA in Gefahr gerät. Dass dann das TTIP-Abkommen noch von verschiedenen Politikern als Faustpfand in der NSA-Affäre genutzt wurde, macht erneut deutlich, dass es in der ganzen Auseinandersetzung auch um ein Konkurrenzverhältnis zwischen den Machtblöcken EU und USA handelt. Vielen TTIP-Kritikern ist oft gar nicht bewusst, dass sie hier in innerkapitalistischen Auseinandersetzungen Partei ergreifen.
Wenn bei der Globalisierungskritik der Kapitalismus nicht erwähnt wird
Das Problem ist nicht, dass die zweifellos vorhanden Beeinträchtigen für Lohnabhängige, Verbraucher etc. durch die Freihandelsabkommen von den Kritikern thematisiert werden, sondern dass oft von der kapitalistischen Weltwirtschaft und deren Interessen abstrahiert wird.
Dann scheint es so, als sei ausgerechnet die Globalisierung das größte Problem, die bereits Karl Marx eher als eine der wenigen emanzipatorischen Konsequenzen des Kapitalismus bezeichnete, worauf der Publizist Reiner Trampert in seinem kürzlich im Schmetterling Verlag veröffentlichten, gegenüber Herrschaft und der real existierenden Opposition jeglicher Couleur erfrischend respektlosen, Buch mit dem Titel "Europa zwischen Weltmacht und Zerfall" hingewiesen hat. Der erstaunlich humorfreie und eher an eine konservative Kulturkritik erinnernde Titel sollte nicht von der Lektüre abhalten. Er wird dem Inhalt zum Glück größtenteils nicht gerecht.
Durch TTIP könnten auch die Standards in den USA auf Druck der EU verschlechtert werden
Aber auch innerhalb der globalisierungskritischen Bewegung gibt es mittleeweile Stimmen, die bei ihrer Kritik am TTIP nicht einfach das Bild "böse USA versus gutes Europa" malen. So erschien in der Juniausgabe des Zentralorgans der globalisierungskritischen Bewegung Le Monde Diplomatique ein Dossier, in dem nicht nur differenziert auf die Geschichte des Freihandels eingegangen wird, auch die Einwände aus der EU und den USA werden aufgelistet.
Dann stellt sich schnell heraus, dass sich durch die Freihandelszone eben nicht nur Standards in Europa verschlechtern könnten. So befürchten US-amerikanische TTIP-Kritiker, dass die in den USA erst vor wenigen Jahren eingeführte Finanzmarktregulierung wieder ausgehebelt wird, wenn europäische Standards gelten sollten.
Auch auf dem Gebiet des Verbraucherschutzes ist das Bild von der "bösen USA", die ihre Chlorhähnchen importieren möchte, höchst einseitig. So wollen die im europäischen Lobbyverband EU-Business zusammengeschlossenen Unternehmen erreichen, dass das Importverbot für europäisches Rindfleisch und die Qualitätskontrollen für Milch in den USA entschärft, d.h. dem europäischen Standard, angepasst werden.
Was in den Augen der Unternehmerlobby ein Handelshemmnis ist, war die Konsequenz der Diskussionen über kontaminierte Nahrungsmittel. Wenig bekannt ist, dass in den USA in fast der Hälfte der Bundesstaaten Produkte mit gentechnisch veränderten Bestandteilen gekennzeichnet werden müssen. Dagegen laufen US-Konzerne Sturm.
Eine TTIP-kritische Bewegung, die diese unterschiedlichen Interessen zum Ausgangspunkt ihrer politischen Arbeit macht, wäre davor gefeit, sich zum Spielball von Standortinteressen zwischen EU und USA zu machen. Allerdings wäre es natürlich die Frage, ob sie dann so mobilisierungsfähig wäre, wie sie es zurzeit scheint. Dann würde sich also erweisen, ob es den Kritikern der Freihandelszone um eine kapitalismuskritische Perspektive geht oder ob das Schwungrad vor allem USA-Kritik ist.