Türkei: Machtkampf innerhalb der AKP

Wird Ministerpräsident Davutoğlu von Erdoğan abgesetzt?

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Steht der Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu bevor? Wie die regierungskritische Zeitung Cumhurriyet übereinstimmend mit der regierungsnahen Zeitung Hürriyet am Mittwoch berichtete, deutete Ministerpräsident Davutoğlu am Dienstag seinen Rücktritt an.

Grund dafür dürften die wachsenden Spannungen zwischen Präsident Erdoğan und Davutoğlu sein. Erdoğan hatet seinen Premier für Mittwochabend um 18 Uhr zu einem Gespräch in den Präsidentenpalast einbestellt. Schon seit Monaten streiten die beiden über die künftige Ausrichtung der AKP und die wachsenden Machtansprüche des Staatschefs.

Erdoğan versucht, sich der innerparteilichen Opposition zu entledigen

2014 übertrug Erdoğan nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten seinem damaligen Außenminister die Ämter des Parteichefs und des Ministerpräsidenten. Er schien sich gewiss zu sein, dass er mit ihm einen sicheren Wegbegleiter an richtiger Stelle eingesetzt hatte. Ein Jahr später, nach den Wahlen im November 2015, gab es vermehrt Differenzen.

Davutoğlu postulierte, eine Rückkehr zum Friedensprozess mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) sei möglich - Erdoğan hatte ein paar Monate vorher eigenmächtig diesen Dialog für beendet erklärt. Erdoğan favorisierte einen schnellen Immunitätsentzug für die Abgeordneten der prokurdischen HDP und einen Ausbau der Antiterrorgesetze, während Davutoğlu auf eine Verfassungsänderung mit Zweidrittelmehrheit setzte. Die Aufhebung der Immunität wurde am Dienstag dann auch nach tumultartigen, gewalttätigen Auseinandersetzungen im Parlament, wie wir es nur aus der Ukraine kennen, durchgesetzt.

Auch die Einführung eines auf Erdoğan zugeschnittenen Präsidialregimes stieß bei Davutoğlu nicht auf Gegenliebe, weil dies auch - das hatte er stets im Blick - seine eigene Machtposition beschneiden würde. Denn auch Davutoğlu ist ein Machtpolitiker, auch wenn er nicht über die gleichen mafiösen Strukturen wie Erdoğan verfügt. Aber er hat auf internationaler Bühne mehr Prestige als das Raubein Erdoğan.

Die von vielen Türken lang erwartete Reisefreiheit wird letztendlich Davutoğlu zugeschrieben, der maßgeblich die Verhandlungen über das Flüchtlingsabkommen geführt hatte. Anscheinend setzt die Opposition innerhalb der AKP auf Davutoğlu, um Erdoğans Großmachtphantasien Einhalt zu gebieten. Die Entmachtung Davutoğlus hatte Erdoğan mit seinen Gefolgsleuten nach Informationen türkischer Medien letzte Woche eingeleitet.

Davutoğlu kam am vergangenen Freitag demnach von einer Reise verspätet zur Sitzung des 50-köpfigen Führungsgremiums der AKP. Während seiner Abwesenheit nahmen 47 Mitglieder rasch eine Entschließung an, derzufolge er als Parteichef nunmehr nicht mehr allein lokale Führungen der AKP ernennen darf. Im Klartext: Erdoğan bestimmt nunmehr auch, welche Positionen von wem in den lokalen Strukturen besetzt werden.

Dies brachte den Ministerpräsidenten dazu, sich in einer Rede vor AKP-Abgeordneten gegen Erdoğan zu positionieren:

"Ich werde niemals erlauben, dass die AKP-Bewegung, die einzige Hoffnung der Opfer dieser Welt, Schaden erleidet, dass die mutigen Führungskräfte der AKP sich grämen."

Damit ging Davutoğlu in die Offensive gegen Erdoğan. Er macht öffentlich, was schon lange brodelt. Innerhalb der AKP gibt es eine oppositionelle Strömung, vor allem um die alten, enttäuschten Gründungsmitglieder der AKP, die aus deroffiziellen Gründungsriege ausradiert wurden. Seitdem hetzen Erdoğans Gefolgsleute gegen den Ministerpräsidenten, wie die Zeitung 'Junge Welt‘ berichtet:

"…Um es offen zu sagen, die Situation unter Davutoğlu ist unhaltbar geworden. Die AKP muss für sich einen neuen Weg suchen", forderte Nasuhi Güngör, Kolumnist der AKP-nahen Tageszeitung Sabah, daher kürzlich in einem Fernsehinterview offen die Ablösung Davutoğlus.

Nachfolger stehen in den Startlöchern

Auch über Davutoğlus Nachfolger wird schon in entsprechenden Kreisen diskutiert. Als potentieller Nachfolger von Davutoğlu gilt seit längerem der jetzige Minister für Transport und Kommunikation, Binali Yildirim. Er ist ein enger Vertrauter von Erdoğan. Aber auch die Ernennung von Erdoğans Schwiegersohn Berat Albayrak wäre möglich. Ihn hatte Erdogan als Energieminister in Davutoğlus Kabinett platziert.

Die Zeitung 'Junge Welt' berichtet über mögliche Szenarien von Davutoğlus Sturz, die der in türkischen Kreisen bekannte Whistleblower Fuat Avni publiziert hat:

""Erdogan hat die Operation 'Davutoğlu putschen' eingeläutet. Der Konflikt wird zunächst über die Medien ausgetragen", twitterte Fuat Avni. So habe Finanzminister Neci Agbal vorgeschlagen, Davutoglus Frau der Steuerhinterziehung zu bezichtigen. "In ein paar Tagen wird Davutoglu genau über diese Affäre stürzen", kündigte der auf Twitter über 1,84 Millionen Follower (regelmäßige Leser) verfügende Insider eine entsprechende Medienberichterstattung in der nahen Zukunft an. Fuat Avni hatte in den letzten zwei Jahren bereits zahlreiche Intrigen der Erdogan-Clique zutreffend vorhergesagt – so etwa die Verhaftungswellen gegen Gülen-Anhänger und kritische Journalisten sowie die Ausschaltung oppositioneller Medien."