Twittern was man liest, sehen was man fotografiert
Künstliche Intelligenz hilft einem schon bei schlechten Fotos, aber lesen muss man sein Zeug immer noch selbst, bevor man in Zukunft twittert
Hand aufs Herz, wer hat nicht schon einen verwaschenen Shot auf seinem Handy gefunden und gedacht "Mensch, wenn das Bild nur ein bisschen schärfer wäre, dann könnte ich es jetzt twittern" ... manchmal sind es einfach Fotos von Menschen, die vielleicht sogar ein wenig berühmt sind und bei dessen Aufnahmen man mit der zitternden Hand das Foto verdorben hat. Wie ärgerlich. Oder man wird einfach prinzipiell nervös, wenn man Tante Trude fotografieren soll, und dann verwischen die Pixel ihr Antlitz.
Nun, auf der anderen Seite gibt es auch die Gnade des verwischten Shots, vor allem bei Tante Trude, aber das Problem lassen wir hier einmal außen vor. Vielmehr ärgert man sich im Regelfall bei solchen Aufnahmen und sucht eine Abhilfe, aber die kann jetzt gewährt werden.
Ein bisschen KI, und schon hilft einem der Computer das verdorbene Bild in einen Starschnitt umzuarbeiten. Bis zu 64 Mal schärfer soll eine Technik sein, die mittels GANs das Bestmögliche aus einem Bild herausholt. Dabei soll angeblich das Ergebnis wirklich Tante Trude gleich sehen und sie in einem perfekten Bild darstellen. Vermutlich sieht das Bild aber nicht wie Tante Trude aus, wenn es sich um einen anderen Zeitgenossen handelt. Das setzen wir jetzt einfach mal voraus und hoffen, dass die KI in der Technologie sich das Pixelbild nur selten anschaut, sich dann denkt "Aha ein A...loch" und dann selbiges in das restaurierte Gesicht hineinzaubert. Das wäre kontrapoduktiv, und ich weiß jetzt auch nicht.
Hoffen wir es einfach.
Dann kann das fröhliche Publizieren über Twitter in eine neue Runde gehen. Die Fotos werden dann immer schöner und schärfer, vielleicht aber nicht immer ehrlicher. Soll uns aber nicht weiter stören. Hoffen wir weiterhin, dass man auch brav alle Sachen gelesen hat, bevor man sie in Twitter weiter in die Welt hinauströtet. Denn Twitter höchstpersönlich will einen in Zukunft fragen, ob man das denn getan hat, bevor man den Fast Forward Button drückt. Gut, das ist noch ein Test, und es werden auch andere Sachen getestet, die es vermutlich nie in die Liveversion der Plattform schaffen. Aber die Chancen dazu sind durchaus da, denn wir reden hier ja nicht von einem selten vorkommenden Marginaldelikt. Nach einer Studie passiert das in 59 Prozent der Fälle.
Geben wir es zu, wir haben das auch schon gemacht und dabei natürlich auch riskiert, dass wir einen Artikel weitertrompeten, der vielleicht im unteren Teil des Textes etwas ganz anderes sagt, als wir das aus der Überschrift geschlossen haben. Sollte man vorsichtig sein damit, denn schließlich kann man aus dem "Neuen Testament" nicht wirklich immer schließen, dass es sich um einen Nachlass eines Familienangehörigen handelt.
Solange man sich dazu nicht genau Gedanken macht, löst man durch unbedachtes Weiterleiten sicher noch ganz andere Katastrophen als die Weiterverbreitung eines religiösen Glaubens aus. MIt letzterem kann man leben, aber die 59 Prozent sind definitiv zu hoch, und jetzt sind wir mal ehrlich: Da hilft dann auch keine KI mehr, die aus den Bruchstücken unserer Aufmerksamkeit schnell einen anderen Text hinter den Link zaubern könnte, weil sie sich sagt, dass es ja wohl nicht sein kann, was der Nutzer Alfred M. hier verbreitet, der ist doch sonst nicht so.