Verfassungsgericht schützt vor Verfassungsschutz
Vom Abgeordneten Bodo Ramelow geht keine Gefahr für die freiheitliche demokratischen Grundordnung aus
Die Beobachtung von Parlamentariern wegen verfassungsfeindlicher Umtriebe ist unzweifelhaft geboten:
Ein Bundestagsabgeordneter der CDU hatte den Verkauf seiner Stimme beim Misstrauensvotum 1972 eingeräumt, offenbar an die DDR-Geheimen. Ein inzwischen verstorbener CSU-Abgeordneter steht für die zweite Abweichlerstimme von 1972 in Verdacht. Ein Thüringer CDU-Ministerpräsident, der seit den 1950er Jahren in der Blockpartei CDU saß, hatte noch vor der Wende in einem Ferienheim der Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) in Friedrichroda Auftritte als »Clown Ferdinand« absolviert. Ebenfalls noch vor der Wende machte ein CDU-Ministerpräsident aus Kiel windige Geschäfte mit der DDR unter MfS-Abdeckung, die bis heute ungeklärt sind, ebenso wie dessen ungewöhnliches Ableben. Ein CDU-Bundeskanzler verteilte in den 1990ern kofferweise Bargeld, an dessen Herkunft er sich nicht mehr so recht erinnern konnte. Ein gegenwärtiger CDU-Bundestagsabgeordneter gibt offen seine geschäftlichen Verbindungen für die dubiose Beratungsfirma Hakluyt & Company Limited zu, die im Dunstkreis des britischen Geheimdienstes wirkt.
Bei so viel CDU-Kriminalität ist es absolut logisch, die Linkspartei zu überwachen. Die Linken sind bekanntlich ruch- und vaterlandslose Gesellen, die sich feige dem Auslandseinsatz der für die Landesverteidigung gedachten Bundeswehr verschließen, gierig Mindestlohn fordern und Gregor Gysi in Talkshows schicken. Schließlich gelang den roten Brüdern sogar eine perfide Gehirnwäsche bei SPD-Finanzminister Oskar Lafontaine, auf den vermutlich DDR-Spionagechef Markus Wolf die Ost-Agentin Sara Wagenknecht angesetzt hatte. So muss es gewesen sein.
Die Gesinnung der linken Socken ist so evident, das bemerkt man auch ohne die Spione vom Verfassungsschutz. So etwa im Thüringer Landtag, wo die damalige PDS nach der CDU die größte Fraktion bildete. Opposition, das riecht schon nach Verfassungsfeindlichkeit und Querulanz. Und wer's nicht wusste, konnte es in CDU-nahen Postillen erfahren. Als sich die PDS nicht zum Jugoslawienkrieg bekennen wollte, meldeten sich ein bis dato unbekannter Politikwissenschaftler namens „Peter Christian Segall“ und ein „Hermann Gleumes“ zu Wort, die über die PDS und den Abgeordneten Bodo Ramelow genau Bescheid wussten. So durfte Ramelow, der in Hessen in den 1980ern Gewerkschaftsfunktionär wurde, sich gegen Faschismus und Apartheid einsetzte und offen zur Wahl der DKP aufrief, allerhand Sachen über sich lesen, die er selbst noch nicht wusste. Das Halbwissen war zufällig mit dem identisch, das der Verfassungsschutz seit diesen Tagen über Ramelow zusammengetragen hatte. Den Pamphleten applaudierte Politikwissenschaftler Prof. Hans Helmuth Knütter, der die CDU bei der Bundeszentrale für politische Bildung vertrat und später als Vordenker der Neuen Rechten galt. Hinter „Segall“ und „Gleumes“ verbarg sich in Wirklichkeit allerdings der „Parteienforscher“ Patrick Moreau, der gerne Vorträge für den Thüringer Verfassungsschutz hielt.
Der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes hieß damals Helmut Roewer, dessen Vorgesetzter war der damalige CDU-Innenminister Christian Köckert, der laut Roewer selbst ganz gerne mal sein Umfeld ausspähte. Köckert warf der PDS „menschenverachtendes Denken“ vor, musste dann aber wegen gewisser Peinlichkeit zurücktreten und fiel letztes Jahr dumm auf. Auch Roewer hatte 2000 den Schlapphut nehmen müssen, unter dem er nach Bekanntwerden der NSU-Mordserie wieder hervorkroch.
Vor einem Jahrzehnt erfuhr Ramelow, dass die Behörden des Verfassungsschutzes über ihn Akten führten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, eine unverzichtbar nützliche Einrichtung, interessierte sich für Ramelow schon 1986 zu Gewerkschaftszeiten. Ramelows Versuche, die Angelegenheit politisch aus der Welt zu schaffen, überforderten die Verantwortlichen. Die zusammengetragenen Absurditäten kann man inzwischen im Buch „Die Akte Ramelow“ nachlesen, das kostenlos als PDF heruntergeladen werden kann. Ramelow beschritt den Rechtsweg, scheiterte schließlich jedoch 2010 am Bundesverwaltungsgericht. In ihrem Urteil kamen die Richter zwar zu der Feststellung, Ramelow sei nicht individuell verdächtig, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu verfolgen. Seine Beobachtung werde ausschließlich mit seiner Mitgliedschaft und seinen Funktionen in der Partei DIE LINKE begründet. Wenn Ramelow zwar selbst verfassungstreu sei, so könne er jedoch bei objektiver Betrachtung durch seine Tätigkeit verfassungsfeindliche Bestrebungen fördern, ohne dies zu erkennen. Ramelow konnte zudem nur die Informationsgewinnung aus öffentlichen Quellen geltend machen, da er konspirative Methoden, etwa Abhören, nicht nachweisen konnte – wie auch?
Ramelow erhob Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht kam in seiner heute verkündeten Entscheidung zu einer anderen rechtlichen Bewertung. Solange ein parteipolitisches Engagement sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, stärke dies die freiheitliche demokratischen Grundordnung. Soweit der Verfassungsschutz das Verhalten des Abgeordneten im von Art. 46 Abs. 1 GG besonders geschützten parlamentarischen Bereich beobachte, seien die eingesetzten Mittel zudem unverhältnismäßig. Die durch Art. 38 GG geschützte Kommunikationsbeziehung zwischen einem Mandatsträger und seinen Wählern sei auch vor dem Verfassungsschutz geschützt. Und wenn man nach 30 Jahren Beobachtung nichts handfestes fand, so scheint die Spur denn auch nicht ganz so heiß gewesen zu sein.
Von den 53 Mitgliedern der Linksfraktion im 16. Bundestag wurden laut Bundesverfassungsgericht 27 Abgeordnete vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Eine Organklage hiergegen wurde heute wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen. Was auch immer das Bundesverfassungsgericht befinden mag, so werden Bundestagsabgeordnete genau wie die Leser dieser Zeilen in diesem Moment von der NSA überwacht.