Was hat Roche zu verbergen? Tamiflu und der schwierige Zugang zu klinischen Daten
Eine Initiative des British Medical Journal erhöht den Druck auf den Konzern Roche, Daten zur Wirkung des Grippepräparates Tamiflu zugänglich zu machen
Fiona Godlees kündigte Ende Oktober an, das British Medical Journal ( BMJ ) publiziere ab Januar 2013 nur noch Artikel, für die zugesichert wird, die relevanten anonymisierten klinischen Daten auf begründete Anfrage verfügbar zu machen. Der Zugang zu Forschungsdaten soll unter anderem die Manipulation wissenschaftlicher Forschungsergebnisse verhindern oder zumindest erkennbar und damit sanktionierbar machen. Gerade in der medizinischen Forschung sind diese Daten aber wertvoll, nicht selten könnte die Verfügbarkeit der Informationen den Glauben an die Wirksamkeit auch sehr teurer Präparate erschüttern. BMJ, für das Godlees als Editor in Chief tätig ist, verstärkte mit dieser Initiative den Druck auf den Pharmakonzern Roche. Seit 2009 versucht das Cochrane Institute den Konzern zur Freigabe klinischer Daten zum Wirkstoff Oseltamivir (enthalten im Grippemittel Tamiflu) zu erwirken. Anlass war die Erstellung eines Registers über Neuraminidase-Hemmer, die bei der Erkrankung viraler Infekte Anwendung finden und zu denen auch Tamiflu zählt.
Roche verwehrt bislang den Zugang zu den geforderten Informationen, laut Godlees mit unterschiedlichen Ausflüchten wie etwa der Wahrung von Datenschutz oder Geschäftsgeheimissen. Allerdings sind Patientendaten relativ leicht zu anonymisieren und überraschenderweise tun sich andere Branchenriesen wie GlaxoSmithKline leichter mit der Verfügbarmachung von Daten. Dort kündigte man im September dieses Jahres an, anonymisierte Patientendaten aus klinischen Versuchen zugänglich zu machen. Laut Konzernvertreter Andrew Witty wird ein unabhängiger Ausschuss Anfragen zur Freigabe von Daten prüfen, Voraussetzung für eine positive Entscheidung seien unter anderem eine einleuchtende wissenschaftliche Frage und die Zustimmung der Forscher. Daten, die seit dem Jahr 2007 erhoben wurden, würden passwortgeschützt hinterlegt, ältere je nach Anfrage digitalisiert und bereitgestellt.
Die Weigerung von Roche bedeutet, so Godlees treffend, dass weltweit Steuerzahler Milliarden an Geld für die Vorratshaltung eines Grippepräparates zahlen, ohne dass es jemals eine unabhängige Prüfung dessen klinischer Befunde gab. Cochrane-Vertreter Tom Jefferson und seine Kollegen gaben schließlich BMJ die gesamte Emailkorrespondenz zur Publikation unter bmj.com/tamiflu frei, um die Blockade durch Roche zu dokumentieren und den Druck auf den Pharma-Hersteller zu erhöhen. Fiona Godlees spricht Naheliegendes aus, wenn sie fragt: "What has Roche got to hide?" Sie mutmaßt, Roche hätte unter anderem Daten zu Nebenwirkungen Tamiflus nie wirklich ausgewertet.
Die Kampagne zeigt anscheinend Wirkung: Peter Gøtzsche vom Nordic Cochrane Center in Dänemark fordert Ärzte dazu auf, Produkte des Herstellers Roche so lange zu boykottieren, bis dieser die gefragten Informationen preisgibt. Zudem legt er Regierungen, die in die Anschaffung von Tamiflu investierten, finanzielle Rückforderungen gegen den Hersteller nahe. Seine Einschätzung zu Tamiflu ist überaus kritisch, die Plattform "Pharmaceutical industry news, articles, jobs, reports, advice and services" (PMLiVE) zitiert ihn mit der Vermutung, Tamiflu sei nicht wirksamer als Paracetamol.