Weniger Armut, mehr Emissionen?
Zwei Seiten der Medaille: Klimaschutz ist ohne globale soziale Gerechtigkeit kaum möglich
Eigentlich ist es nicht wirklich neu, aber bisher auch nicht im Bewusstsein der hiesigen Öffentlichkeit angekommen: Wer Klimaschutz will, muss auch für mehr soziale Gerechtigkeit sorgen. Schon die letzten Sachstandberichte des sogenannten Weltklimarates, des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Fragen des Klimawandels IPCC, hatten dies vor sieben Jahren als Stand der internationalen Wissenschaft festgehalten.
Derzeit geht die Entwicklung aber in eine ganz andere Richtung. Obwohl sich die Weltgemeinschaft 2015 im Rahmen der UNO darauf geeinigt hatte, die extreme Armut – definiert derzeit als weniger als 1,9 US-Dollar verfügbares Einkommen am Tag – bis 2030 aus der Welt zu schaffen.
Dennoch sind heute mehr Menschen extremer Armut ausgesetzt als noch 2019. Die Weltbank schätzt, dass ihre Zahl 2020 um bis zu 71 Millionen zugenommen haben könnte. Erstmals seit 1998 sei der relative Anteil der extrem Armen an der Weltbevölkerung wieder gestiegen.
Andererseits werden sich Treibhausgasemissionen zunächst vergrößern, wenn mehr Menschen zu wenigstens sehr bescheidenem Wohlstand kommen. Die Frage ist, wie sehr und wie lassen sich die Ziele Armutsbekämpfung und Klimaschutz durch Reduktion der Treibhausgase in Einklang bringen.
Dem geht eine Mitte des Monats im renommierten Fachblatt Nature Sustainability publizierte Arbeit eines internationalen Wissenschaftlerteams aus China, den Niederlanden und den USA nach.
Die Autoren haben auf Grundlage eines umfangreichen Datensatzes der Weltbank über Konsumausgaben in 116 Ländern differenzierte "Klima-Fußabdrücke" berechnet, das heißt sowohl nach Einkommensgruppen als auch Ländern aufgeschlüsselte Pro-Kopf-Emissionen.
Ihre Datenbasis hat allerdings deutliche Lücken. Angaben über einige reiche Länder wie Japan, Kanada und die Golfstaaten fehlen. Dennoch reichen die Daten aus, um über die Emissionen der Ärmsten Aufschluss zu geben.
Im Ergebnis kam sie zu dem Schluss, dass diese besonders Marginalisierten in Ländern wie Burundi oder Madagaskar oft nur 0,01 Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid (CO₂) im Jahr emittieren. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 2019 8,6 Tonnen pro Kopf und Jahr.
Die Autoren folgerten, dass die Befreiung von über einer Milliarde Menschen aus extremer Armut die globalen Treibhausgasemissionen nur um 1,6 bis 2,1 Prozent erhöhen würde. Das ließe sich ohne Weiteres durch verstärkte Reduktionen in den reichen Ländern wie Deutschland kompensieren.
Gestern war übrigens der 2007 von den Vereinten Nationen ausgerufene jährliche Tag für soziale Gerechtigkeit. Der abendlichen Tagesschau war das keine Erwähnung wert. Stattdessen wurde dem Publikum unhinterfragt mitgeteilt, dass die grüne Verteidigungsministerin stärker aufrüsten wolle.
Um Verantwortung zu übernehmen, wie es heißt. Das macht im Jahre 2022 Deutschlands "feministische Politik auf allen Feldern" nämlich nicht mit Armutsbekämpfung und Klimaschutz, sondern mit Panzern, Stahlhelmen und für Atombombeneinsatz ausgebildeten Piloten.