Wie China tickt
Unter Präsident Xi Jinping wird in der Volksrepublik weniger politisch experimentiert
Die New York Times hat ein lesenswertes Interview mit dem deutschen Sinologen Sebastian Heilmann veröffentlicht. Dieser leitet in Berlin das (private) Mercator Institut für China-Studien und lehrt an der Universität Trier Politikwissenschaften. Heilmann hat eine lange Liste von Studien über chinesische Wirtschafts- und Tecnologiepolitik veröffentlicht und jüngst ein Buch herausgegeben, das sich detailliert mit der Funktionsweise des politischen Systems der Volksrepublik beschäftigt.
Eine der Besonderheiten des chinesischen Systems, so der Autor gegenüber der Zeitung, sei seine Flexibilität. Neben der Fähigkeit zu langfristigen Planungen sei für die erfolgreiche Industrialisierung des Landes vor allem die Experimentierfreudigkeit wichtig gewesen. Das werde angesichts des starken bürokratischen Apparates oft übersehen. Viele rechtliche wie ökonomische Neuerungen seien zunächst in einzelnen Städten oder Provinzen umgesetzt und dort einige Jahre lang getestet worden.
Den Ursprung dieser pragmatischen Herangehensweise, die China stark von der Sowjetunion und den einst nach ihrem Vorbild geformten Gesellschaften unterschieden habe, sieht Heilmann in der revolutionären Vergangenheit der chinesischen Kommunistischen Partei. Diese habe sich in den zwei Jahrzehnten, bevor sie schließlich 1949 im Bürgerkrieg die Oberhand über die Guomintang errang, lange in diversen, voneinander isolierten Regionen behauptet und schon früh eine in mancherlei Hinsicht dezentralisierte praktische Politik betrieben.
In jüngster Zeit, unter der Präsidentschaft des seit 2013 regierenden Xi Jinping (seit 2012 KP-Vorsitzender), sei aber eine Abkehr von der Politik des Experimentierens zu erkennen. Jede politische Initiative müsse inzwischen von der Zentrale abgesegnet werden. Das habe viel Energie aus Chinas politischem System herausgenommen. Es würde nun argumentiert, dass Reformen nach und nach erfolgen müssten, um koordiniert werden zu können. Im Effekt habe das aber dazu geführt, dass es seit 2013 keine grundsätzlichen Reformen mehr gegeben habe.
Heilmann ist sich nicht sicher, ob dies auf Dauer funktionieren kann. Die KP versuche, einen Deckel auf allen Veränderungen in der Gesellschaft zu halten, aber die Lebenswirklichkeiten der Menschen streben auseinander. Außerdem seien hierarchische Systeme anfälliger gegenüber Schocks. Was passiere zum Beispiel, wenn Xi ernsthaft krank würde, nachdem das politische System in den letzten Jahren so auf ihn zugeschnitten worden sei. Oder was würde bei militärischen Konflikten passieren, wie würden die nationalistischen Kräfte in der Gesellschaft reagieren?