Wie aus islamistischen "Freiheitskämpfern" Terroristen werden
Das syrische Assad-Regime inszeniert sich als Alternative zu den Islamisten und findet in Europa und den USA vermehrt Unterstützung
Die Bundesanwaltschaft hat gegen den deutschen Staatsbürger Harun P. einen Haftbefehl wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Organisation erwirkt. In einer Pressemitteilung der Behörde wird ihm vorgeworfen, im syrischen Bürgerkrieg die islamistische Organisation "Junud Al-Sham unterstützt zu haben. Der Mann wird konkret beschuldigt, an der Befreiung von 300 Gefangenen und der Tötung von 2 syrischen Soldaten beteiligtgewesen zu sein.
Schon Ende März ging die Bundesanwaltschaft gegen islamistische Syrienkämpfer vor. Seit Wochen wird davor gewarnt, dass im syrischen Bürgerkrieg aktive Islamisten eine Gefahr für Europa werden können. Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigte der antisemitische Anschlag eines islamistischen Syrienkämpfers im Jüdischen Museum in Brüssel am 24 Mai.
Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen Staaten, aber auch im arabischen Raum und in den USA wächst die Angst vor den militärisch und ideologisch gestählten islamistischen Syrienkämpfern. Schließlich gibt es ja einige Beispiele, die einige Jahrzehnte alt sind. Ohne die islamistischen Freiwilligen, die in den 80er Jahre in Afghanistan gegen die dortige laizistische Regierung und die sie stützende Rote Armee gekämpft haben, wäre der neue Dschihadismus wohl kaum so stark geworden.
Schon in den 80er Jahren wurden die Islamisten aus aller Welt zunächst von großen Teilen der Länder in der westlichen Welt zunächst toleriert und mehr oder weniger offen unterstützt. Trotz des Wissens, dass hier eine ganze Generation von militanten Dschihadisten herangezüchtet wurde, wiederholte sich auch im syrischen Bürgerkrieg dieses Szenario. Lange Zeit hatten Islamisten wenig zu befürchten, wenn sie sich dort am Kampf beteiligten.
Opfer ist die syrische Revolution
Dabei ist es allerdings ein Mythos, dass deren Hauptziel der Kampf gegen das Assad-Regime gewesen ist. Vielmehr richtete sich ihr Kampf bald gegen die Teile der syrischen Opposition, die mit dem Islamismus nichts zu tun haben wollten. Säkulare Kräfte gehörten ebenso dazu wie gemäßigte Moslems. In vielen Gebieten Syriens mussten sich Oppositionelle, die vom Assad-Regime verfolgt und misshandelt worden waren, vor den Islamisten verstecken oder ihre Wohnungen verlassen oder wurden von ihnen ermordet.
So wurde am 23.5.2014 der studentische Aktivist Muhammad Muhammad von Islamisten an der Grenze zur Türkei hingerichtet, als er eine Gruppe unverschleierter Frauen vor deren Angriffen verteidigte. Auf der Homepage der Initiative "Adopt the Revolution", die den nichtislamistischen syrischen Widerstand unterstützt wird der Mord beschrieben:
"An einem Checkpoint der global-jihadistischen Kämpfer von ISIS nahe des Dorfes Jeb zwangen die Kämpfer alle Passagiere des Busses zum Aussteigen und brachten sie an einen anderen Checkpoint nahe Al Shiyukh, einem Stadtteil Aleppos. Bereits am ersten Checkpoint hatten die ISIS-Kämpfer damit begonnen, die unverschleierten Frauen unter den Passagieren sowie deren Familien zu beleidigen. In Al Shiyukh angekommen, drohte man ihnen mit Verhaftung aufgrund ihres – nach Bestimmungen der Islamisten – unzüchtigen Verhaltens.
Muhammad schritt ein und erhob sein Wort gegen die bewaffneten Extremisten und ihre Anschuldigungen. Er versuchte, sie davon zu überzeugen, die Frauen und ihre Familien unversehrt gehen zu lassen. Einer der Kämpfer (nach Angaben der UKSS vermutlich saudi-arabischer Herkunft) stach daraufhin mehrmals mit einem Messer auf Muhammad ein. Die ISIS-Kämpfer enthaupteten ihn anschließend. Sein kopfloser Körper wurde nach Al Raii gebracht, eine von ISIS kontrollierte Stadt nahe der türkischen Grenze. Dort wurde Muhammads Leichnam von ISIS an ein Auto gebunden und mehrere Stunden lang als Abschreckung für die lokale Bevölkerung durch den Ort gezogen, bevor er schließlich auf einem Gehweg abgelegt wurde."
Auch die kurdische Bewegung in Syrien, die einen dritten Weg zwischen Regime und Opposition versuchte, wurde immer wieder von bewaffneten Islamisten angegriffen.
Mythos vom islambekämpfenden Assad-Regime
Profitiert von dieser Situation hat das Assad-Regime gleich auf mehrfache Weise. Es verstand es, sich im Ausland und auch bei Teilen der syrischen Bevölkerung als Alternative zum Islamismus zu inszenieren. Auch manche Assad-Gegner resignierten, wenn die Alternative eine islamistische Herrschaft sein sollte.
Elias Parabo von der Initiative "Adopt the revolution" macht im Gespräch mit Telepolis darauf aufmerksam, dass es ein Mythos ist, wenn sich das Assad-Regime als Alternative zum Islamismus inszeniert. Tatsächlichwürden Gebiete, die von ihnen kontrolliert werden, nicht angegriffen, während die nichtislamistische Opposition weiterhin mit aller Brutalität bekämpft werde. Islamistische Einheiten hingegen hätten ungehindert durch von der syrischen Armee kontrollierte Gebiete ziehen können. Die Syrien-Korrespondentin der Tageszeitung junge Welt beschreibt das Kalkül des Regimes sehr präzise, wenn sie aus Gesprächen mit Assad-nahen Kreisen in Syrien den Schluss zieht:
"Die kontinuierliche Zunahme europäischer Gotteskrieger in Syrien und deren Rückkehr hatte europäische Geheimdienste bereits Anfang 2013 zur Kontaktaufnahme mit ihren syrischen Kollegen veranlasst. Kürzlich wollte auch Washington – auf Umwegen – von Damaskus mehr über US-Bürger erfahren, die in Syrien kämpften. Sowohl Assad-Beraterin Bouthaina Schaaban als auch Außenminister Walid Mouallem bestätigten die Anfragen kürzlich bei Fernsehinterviews. Damaskus sei im Rahmen geregelter politischerBeziehungen zur Zusammenarbeit bereit, sagten beide. Die Staaten sollten ihre Botschaften in Damaskus wieder öffnen, dann könne man weitere Informationen über die europäischen Gotteskrieger in Syrien zur Verfügung stellen."
Ein säkularer Diktator als kleineres Übel
Dass solche Überlegungen auch hierzulande diskutiert wurden, zeigt ein Interview des Deutschlandfunks mit dem als Nahost-Experten vorgestellten Michael Lüders zum islamistischen Vormarsch im Irak:
"Jetzt haben Sie, Michael Lüders keine Probleme, auch unangenehme Thesen, wenn ich das so formulieren darf, zu formulieren beziehungsweise auch zuartikulieren. Könnte man dann sagen, ein säkularer Diktator ist allemal besser als die Islamisten, die jetzt auf dem Vormarsch sind?
Lüders antwortete: "Es mag viele geben, die so denken, aber man kann natürlich das Rad der Geschichte nicht zurückdrehen. Man muss nur nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass das, was hier geschehen ist, nicht nur für dieMenschen in der Region eine Katastrophe ist, sondern gleichzeitig bildet sich hier ein islamisches Emirat heraus, das wirklich gefährlich ist. Es ist ein sicherheitspolitischer Tsunami, der sich hier aufbaut an der Grenze zur Türkei, an der Schwelle zu Europa. Wir haben vor gerade mal vier Wochen einen Terroranschlag erlebt auf das Jüdische Museum in Brüssel, durchgeführt von einem französischen Dschihadisten, der bei der Isis in Syrien ausgebildet worden ist. Es ist dies ein Hinweis darauf, was uns erwartet. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Isis über die Türkei auch Europa ins Visier nimmt."
Die Antwort von Lüders kann dem Assad-Regime Hoffnung geben. Im Irak könne die Zeit nicht mehr zurückgedreht und das Bath-Regime wieder eingesetzt werden. Aber in Syrien kann das alte Regime noch nützliche Dienste leisten, ist der Subtext der Antwort. Die Leidtragenden sind die syrischen Oppositionellen, die den Aufstand begonnen haben, weil sie mit Entrechtung und Verarmung Schluss machen wollten. Sie mussten erleben, dass der Aufstand von Islamisten gekapert wurde und dass dadurch das Regime wieder auch weltweit als Partner bei der Repression gesehen werden.
Wenn die Bundesanwaltschaft dem Islamisten Harun P. vorwirft, an einer Befreiung von 300 Gefangenen in Syrien und der Tötung von zwei syrischen Soldaten beteiligt gewesen zu sein, wird sehr deutlich, dass der Angriff auf das Assad-Regime auch in Deutschland wohl wieder als terroristisch bewertet wird.