Zivilgesellschaft in Deutschland solidarisiert sich mit Snowden

Der diesjährige Whistleblowerpreis geht an den amerikanischen Überwachungs-Enthüller; gefordert wird, dass ihm die EU einen sicheren Aufenthaltsort anbietet

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Die Bundesregierung wollte Edward Snowden kein Asyl in Deutschland geben. Mittlerweile hat aber die Zivilgesellschaft ihre Sympathie mit dem Whistleblower aus den USA entdeckt. So haben ihn kürzlich in Berlin die Vereinigung Deutscher Wissenschaftler, die deutsche Sektion der Juristenorganisation IALANA und Transparency International Deutschland den Whistleblowerpreis verliehen. Der Geehrte konnte selbstverständlich nicht anwesend sein.

Nach Ansicht der Jury müsse nach den Enthüllungen von Snowden geklärt werden, "ob und in welcher Hinsicht das durch Snowden aufgedeckte Vorgehen in- und ausländischer geheimdienstlicher Stellen geltendes Recht verletzt hat". In Deutschland seien nach jetzigem Kenntnisstand insbesondere der Artikel 10 des Grundgesetzes als Grundrecht auf Abwehr hoheitlicher Eingriffe und staatlichen Schutz sowie das G-10-Gesetz tangiert worden. Edward Snowden habe mit der Weitergabe der Informationen trotz Kenntnis der aktuellen strafrechtlichen Verfolgung von Whistleblower im Sicherheitsbereich schwerwiegende Nachteile für sich persönlich in Kauf genommen, begründete die Jury die Auswahl des Preisträgers.

Zeuge Snowden?

Der Vorsitzende der Deutschen Sektion von IALANA, Otto Jäckel, sieht neben Deutschland die EU insgesamt gefordert, Snowden einen sicheren Aufenthaltsort anzubieten. Er habe mit seinen Enthüllungen diesen Ländern einen großen Dienst erwiesen. Zudem könne Snowden ein wichtiger Zeuge bei der Aufarbeitung der NSA-Affäre sein, erklärte Jäckel.

Mittlerweile hat auch die Humanistische Union bekannt gegeben, dass sie ihren Fritz-Bauer-Preis in diesem Jahr ebenfalls an Snowden verleihen wird. Der Namensgeber war ein antifaschistischer Generalstaatsanwalt aus Frankfurt/Main, der in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren gegen starke Anfeindungen und Widerstände auch in Kreisen der Justiz die Ermittlungen gegen Naziverbrecher in Deutschland durchgesetzt hat. "Wenn ich mein Zimmer verlasse, betrete ich feindliches Ausland", sagte Bauer einmal über seine deutsche Umgebung.

Er hatte einen großen Anteil bei der Ergreifung von Eichmann und bei der Vorbereitung der Auschwitzprozesse in Frankfurt/Main. Sein Tod im Jahr 1968 ist bis heute ungeklärt.

Wenn Snowden den Fritz-Bauer-Preis auch verdient hat, so verbietet sich eine simple Gleichsetzung des US-Whistleblowers mit dem antifaschistischen Staatsanwalt. Es besteht aber gerade in Deutschland immer die Gefahr, dass solche Vergleiche gezogen werden. Bauer ermittelte nicht wegen Massenüberwachung, sondern wegen Massenmord. Dieser Unterschied musste sich in den 1990er Jahren immer wieder betont werden, als die DDR mit dem NS-System verglichen wurde.

Deutschland - ein Überwachungsstaat?

Neben den Preisverleihungen an Snowden sind am Wochenende auch noch weitere Aktionen gegen staatliche Überwachung und Schnüffelei geplant. In zahlreichen Städten sind Kundgebungen und Demonstrationen angemeldet. In Darmstadt haben schon vor mehr als einer Woche einige aktive Bürger den Anfang gemacht. Mittlerweile haben auch 30 Schriftsteller in einem offenen Brief erklärt, dass sie Deutschland auf den Weg in den Überwachungsstaat sehen.

Damit widersprechen sie explizit Bundeskanzlerin Merkel, die vor einigen Tagen auf einer Bundespressekonferenz erklärt hat, dass Deutschland kein Überwachungsstaat sei. Wenn man einige Jahrzehnte zurückblickt, kann man sich an viele Aufrufe, Texte und Broschüren erinnern, die in den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts vor einen Überwachungsstaat in der BRD warnten. Im Zuge des Deutschen Herbstes und des sogenannten Radikalenerlasses mit Tausenden Überprüfungen von jungen Menschen, die in den Staatsdienst wollten, waren diese Befürchtungen berechtigt. Damals waren aber keine US-Sicherheitsbehörden, sondern deutsche Institutionen dafür verantwortlich.