Eine Vielzahl digitaler Ungerechtigkeiten
Nach einer weltweiten Studie öffnet sich die digitale Kluft dort, wo es bereits soziale Ungerechtigkeiten gibt
Wer in einem Entwicklungsland lebt, hat ungleich schlechtere Chancen das Internet für sich zu nutzen, als jemand, der in einer westlichen Industrienation lebt. Diese Aussage ist zweifellos richtig. Aber die Chance, dass sich ein moderner Geschäftsmann aus Shanghai, mit Universitätsausbildung und gutem Einkommen, das Internet zu Nutze macht, könnte durchaus höher sein, als die einer alten Bäuerin aus einem verarmten Dorf irgendwo in Süd-Italien.
Es gibt nicht nur den "Digital Divide" zwischen reichen und armen Ländern, sondern eine Vielzahl digitaler Ungerechtigkeiten zwischen Geschlechtern, Klassen und Generationen. Das ist die Kernaussage einer Meta-Studie über den "Digital Divide" des "AMD Global Consumer Advisory Boards", die von Wissenschaftlern des Centre for Urban and Community Studies an der Universität Toronto erstellt wurde. Für die Studie wurden Daten nationaler und internationaler Untersuchungen der letzten zehn Jahre systematisiert und miteinander verglichen. Daten aus acht Länder wurden untersucht (USA, Großbritannien, Deutschland, Italien, Süd-Korea, Japan, China und Mexiko). Dabei ging es nicht darum Rankings zu erstellen, sondern um die Frage, was die "digitale Kluft" ist und wie sie sich in den unterschiedlichen Ländern entwickelt.
Der "Digital Divide" ist zunächst natürlich auch ein "Divide" der technischen Infrastruktur. Ein funktionierendes Telefonnetz, ausreichende Internetkapazitäten und nicht zuletzt eine zuverlässige Versorgung mit Elektrizität sind notwendige Bedingungen für die Nutzung des Internet. In entwickelten Ländern sind es aber sozio-ökonomische Faktoren, die den "Digital Divide" bestimmen. Der wichtigste ist der ökonomische Faktor, denn wer sich Computer und Onlinegebühren nicht leisten kann, wird seltener das Internet nutzen.
Doch Kosten sind nicht das einzige Problem, es gibt noch weitere "Gaps". Sie finden sich zwischen ländlichen und urbanen Gebieten, zwischen den Generationen, Geschlechtern und den unterschiedlichen Bildungsniveaus. In einigen Ländern ist der "Digital Divide" auch ein ethnischer. So gibt es Daten, die belegen, dass in den USA der Anteil afroamerikanischer Internetnutzer weit hinter dem Anteil von Amerikanern europäischer oder asiatischer Abstammung zurück bleibt.
Auch wenn der ökonomische Faktor bei vielen dieser "Gaps" eine große Bedeutung hat, sind es ebenfalls soziale und kulturelle Faktoren, die digitale Ungerechtigkeiten verursachen. So können zum Beispiel ein erziehungsbedingtes Desinteresse an Technik oder eine Entmutigung durch eine sich als männlich verstehende Technokultur den Zugang von Frauen erschweren. Fehlende soziale Netzwerke, wie eine kritische Masse von Freunden und Nachbarn, die Anregung und Anleitung zur Nutzung des Internets geben, können das geringere Interesse am Internet bei älteren Menschen oder in ländlichen Gebieten erklären.
Entsprechend der multiplen "Digital Divides" gibt es auch kein allgemeines Muster in der Entwicklung der Zusammensetzung der Internetnutzer. Auch eine weite Verbreitung des Internet innerhalb einer Gesellschaft bedeutet nicht, dass dadurch automatisch digitale Gerechtigkeit hergestellt wird. Während es beispielsweise in den USA und Japan, Ländern mit einer hohen Zahl an Internetnutzern, den Trend gibt, dass die sozio-ökonomische Kluft des Internet kleiner wird, vergrößert sich diese in Deutschland und Großbritannien, obwohl auch in diesen Ländern die Anzahl von Internetnutzer hoch ist. Der Anteil von Menschen mit geringem Einkommen an der Gesamtheit der Internetnutzer steigt in einigen Ländern, in anderen fällt er. Das Gleiche gilt für den "Gender Gap". In Deutschland sinkt der Anteil weiblicher Nutzer, während er sich in den USA, Japan und Großbritannien eher dem Anteil der Männer annähert. In Japan ist das Verhältnis bei den Nutzern mobiler Internetzugänge sogar umgekehrt, sie werden weitaus stärker von Frauen genutzt.
Wenn sich aber gesellschaftliche Verhältnisse im Internet reproduzieren, reproduzieren sich damit auch die bestehenden sozialen Ungleichheiten. "Die ungleiche Verbreitung und Nutzung des Internets wird durch soziale Ungleichheiten geformt und formt die sozialen Ungleichheiten", schreiben die Autoren der Studie. Der "Digital Divide" findet sich genau dort, wo bereits soziale Ungerechtigkeiten bestehen. Da das Internet denjenigen, die es gebrauchen, ökonomische und soziale Vorteile verschaffen kann, verstärkt es diese Ungerechtigkeiten. Eine Kampf gegen den "Digital Divide" darf daher nicht allein auf dem Feld der Technik geführt werden, sondern ist letztendlich ein ganz traditioneller Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit.